© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


CSU: Der neue Parteichef Stoiber gibt sich kämpferisch
Berlin will er stürmen
Thomas Clement

Auf dem CSU-Sonderparteitag in München vollzog sich am vergangenen Wochenende die längst beschlossene Stabübergabe an Edmund Stoiber ohne Überraschungen – allerdings in einer bemerkenswerten Aufbruchstimmung. Waigel betonte, er scheide ohne Wehmut und Bitterkeit. Scharf wies er Vorwürfe der rot-grünen Koalition zurück, er habe die Hypothek einer jahrelangen Mißwirtschaft hinterlassen. Die jüngsten wirtschaftlichen Daten wie eine Wachstumsrate von 2,8 Prozent und eine Inflationsrate von unter einem Prozent seien Folgen der Politik der alten Regierung. Als wesentliche Errungenschaften während seiner Zeit als Finanzminister nannte Waigel "die von mir durchgesetzte Währungsunion" mit der DDR und die neue gemeinsame europäischen Währung Euro. "Der Euro trägt meine Handschrift, und auch der Name stammt von mir", sagte ein den Tränen naher Waigel.

Zu seinen Parteifreunden gewandt, gestand Waigel ein, daß es in den letzten Jahren für ihn auch persönliche Verletzungen gegeben habe: "Der politische und publizistische Mißbrauch eines Lebensschicksals hat weh getan", sagte Waigel in Anspielung auf die Angriffe wegen seiner gescheiterten ersten Ehe, die es aus der CSU während des Machtkampfes mit Stoiber 1993 gegeben hatte. Die Delegierten verabschiedeten Waigel mit minutenlangem Beifall.

Nach der kurzen Dankes-Ansprache Stoibers lief die Wahl des neuen Vorsitzenden ohne Gegenkandidaten ab. Das Tagungspräsidium ließ die Gegenkandidatur des Zahnarztes Anton Euba aus Schrobenhausen aus formalen Gründen nicht zu. Mit 93,4 Prozent der Stimmen wählte der Sonderparteitag Stoiber zum neuen Parteivorsitzenden (880 von 960 abgegebenen Stimmen, 59 Delegierte votierten mit Nein, 18 ungültige Stimmen). Der bayerische Ministerpräsident ist der sechste Parteivorsitzende der CSU seit 1946. Am längsten – von 1961 bis 1988 – lenkte Franz Josef Strauß die Geschicke der Partei.

Sodann hob der Neugewählte zu einer kämpferischen Rede an und ließ dabei sein Selbstbewußtsein durchblicken. Nicht nur die CSU, sondern die ganze Union wolle er von München aus in Schwung zu bringen. Der Oberbayer, der bei der Landtagswahl im September mit 52,9 Prozent zum zweiten Mal die absolute Mehrheit erhalten hat, verhehlte nicht, wie sehr sein ganzes Streben darauf ausgerichtet war, nach dem Amt des Ministerpräsidenten auch den Parteivorsitz zu übernehmen.

Daß der Sohn eines Bierbrauermeisters das Vokabular der Stammtische beherrscht, hat er schon oft bewiesen, wie 1979 bei seiner Gleichsetzung von Grünen und Nazis, oder als er als Bayerns Innenminister in die Asyldebatte, begleitet vom Aufheulen der Medien, den Begriff von der "Durchrassung der Gesellschaft" einführte. Auch vor dem Wahlparteitag hatte erst seine Stellungnahme zu den rot-grünen Einbürgerungsplänen die Union aus ihrer komatösen Erstarrung nach der Niederlage vom 27. September erweckt: "Die doppelte Staatsbürgerschaft stellt eine größere Gefahr für die innere Sicherheit dar als der RAF-Terrorismus der 70er Jahre."

In seiner leidenschaftlichen und frei gehaltenen Rede ging der neue CSU-Chef vor allem mit Bundeskanzler Gerhard Schröder hart ins Gericht und warf ihm "Show statt Leistung vor". Noch nie habe eine neue Regierung einen so verheerenden Zickzackkurs gefahren. Schröder mißachte das Gebot der Nachhaltigkeit in der Finanz- und Rentenpolitik und verfrühstücke die Lebens- und Zukunftschancen der nächsten Generation. Der Atomausstieg vernichte Arbeitsplätze, die Steuerreform belaste den Mittelstand, die Agenda 2000 der EU werde zu einem Bauernsterben führen. Der vorhergesagte Konjunkturrückgang "ist Ihr Abschwung, Herr Schröder", so Stoiber unter dem Jubel der Delegierten.

Kämpferisch gab sich der Einser-Jurist vor allem beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft und verteidigte die geplanten Aktionen der Unionsparteien: Es habe nicht das geringste mit Rechtsradikalismus oder Ausländerfeindlichkeit zu tun, wenn sich die CSU Gedanken über die Bewahrung der nationalen Identität mache. Die Union vertrete mit ihrem Kurs die Mehrheit der Bevölkerung. Die Bundesregierung könne ihre Pläne nicht gegen diese Mehrheit durchsetzen. Wer Deutscher werden wolle, müsse sich zu seiner Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft als Nation bekennen. Dies habe nichts mit Begriffen wie "rechts" oder "rechtsradikal" zu tun. Es sei nicht zuviel verlangt, wenn sich Menschen zwischen der deutschen und einer anderen Staatsbürgerschaft entscheiden müßtenStoiber vertrat die Ansicht, die Einführung des doppelten Passes würde dazu führen, daß 500.000 bis 800.000 Menschen nach Deutschland nachzögen. "Wer soll die aufnehmen, wer soll das bezahlen?" rief der CSU-Chef. "Wir überfordern die deutsche Öffentlichkeit. Das hat mit ‘rechts’ nichts zu tun!"

Da die Union keine Mehrheit in Bonn mehr habe, sei es nur legitim, die Öffentlichkeit über eine Unterschriftenaktion in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Die CSU werde sich den "Irrungen und Wirrungen des Zeitgeistes" widersetzen und alles dafür tun, "damit diese Bundesregierung nur eine Episode bleibt", sagte Stoiber. Die CDU forderte er zum Ende seiner mitreißenden Rede auf, gemeinsam mit der CSU die bürgerliche Mitte zu bündeln und Heimat der demokratischen Rechten zu sein. Den rund 1.000 Delegierten rief Stoiber zu: "Das ist unsere Aufgabe: Bayern stark zu halten und Berlin zu stürmen."

An die Adresse von Schäuble sagte Stoiber, die CSU sei derzeit stärker und besser positioniert als manche in der CDU. Dies solle aber nicht als Abgrenzung verstanden werden. Vielmehr wolle die CSU ihre Stärke in die Union hineintragen. Befürchtungen, die CSU könne der Union nun über den Kopf wachsen, räumte Wolfgang Schäuble in seinem Grußwort aus: "Wir sind stolz darauf, daß wir so eine ansehnliche Schwester CSU haben", sagte der CDU-Vorsitzende.

Mit der Wahl von Edmund Stoiber zum 6. Vorsitzenden wird die CSU wieder bayerischer. Denn aus dem Dualismus München/Bonn, der seine personelle Entsprechung in dem Duo Stoiber/Waigel fand, ist die politische Einheit Stoiber/München geworden. Eine gewisse Einengung des politischen Spektrums geht damit freilich auch einher. Stoiber, der sich gern als erster Diener seines Freistaats sieht, ist kein Vorsitzender, er ist ein Führer, der sich die CSU so untertan machen wird, wie er dies schon im ganzen bayerischen Staatswesen vorexerziert hat.

In der Öffentlichkeit wehrt der 57jährige Vater dreier erwachsener Kinder derzeit jede Ambition auf die Kanzlerkandidatur 2002 ab. Wohl auch deshalb, weil die nächste Bundestagswahl ein knappes Jahr vor der nächsten Bayern-Wahl stattfindet. Stoiber müßte also das Risiko in Kauf nehmen, als Wahlverlierer im Bund in die Bayern-Wahl zu ziehen und damit die Existenzgrundlage der CSU als alleinregierende Staatspartei zu gefährden. In der CSU wird dem einst als tollkühnen Skifahrer bekannten Stoiber ein solches Vabanque-Spiel durchaus zugetraut.


 
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