© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Neue Führungsrolle
Karl Heinzen

Ob der "Staatssozialismus" auf deutschem Boden tatsächlich "gescheitert" ist, wie die Frankfurter Allgemeine in ihrer unfreundlichen Kommentierung des jüngsten PDS-Parteitages wieder einmal in die Welt setzte, wird sich erst noch zeigen müssen. Dort, wo man sich darüber ein berufenes Urteil erlauben kann, scheinen immer weniger Menschen diese Gewißheit zu teilen. Die Geschichte ist offen – auch die DDR-Geschichte, und die PDS tut gut daran, den Ast, auf dem sie sitzt, nicht aus lauter Übermut abzusägen. Mit Fug und Recht ist die einstige Staats- und Parteiführung dafür zu kritisieren, daß es zu einem 9. November 1989 kommen konnte. Man darf jedoch bezweifeln, daß ein rechtzeitiges Einlenken auf die PDS-Linie von heute uns dieses Schicksal erspart hätte: Auch ein Gorbatschow hat die Spaltung der Sowjetunion letztlich nicht verhindern können.

Wer den Pfad der historischen Ausgewogenheit verläßt und meint, sich ausgerechnet heute die im Kalten Krieg vom Westen vertretene Position zu eigen machen zu müssen, hat nicht verstanden, welche Aufgaben vor der PDS liegen: Sie ist auf dem Boden der BRD angekommen, ohne den der DDR räumen zu müssen, und könnte nun den Beweis führen, daß die deutsche Einheit keine Einbahnstraße zu sein braucht.

Nun sortiert sich die Spreu vom Weizen: Diejenigen, die in den eigenen Reihen auf ein schnelles Ende der Partei lauerten und darauf spekulierten, sich durch laute und radikale Gesten der Abnabelung von der eigenen Vergangenheit für zukünftige Aufgaben in anderen Zusammenhängen empfehlen zu können, sehen sich enttäuscht: Die Wähler sind nicht davon abzubringen, der Partei ihre Zukunftsfähigkeit zu attestieren, und die Koalitionspartner von heute und morgen arbeiten schon aus Tradition lieber mit realsozialistischen Pragmatikern als mit unberechenbaren Wendehälsen zusammen.

Hier liegt in den nächsten Jahren die eigentliche Bewährungsprobe der PDS: Die Parteilinke – allen voran die Kommunistische Plattform – muß lernen, sich nicht länger als Minderheitsströmung zu empfinden und aufzuführen – Normalität läßt sich nicht durch die kokette Selbstinszenierung als vermeintlicher Außenseiter vermitteln. Die Vergangenheitsbewältiger wiederum müssen glaubhaft machen, daß sie diese Position nicht aus innerer Überzeugung oder gar persönlichem Kalkül eingenommen haben, sondern im Interesse der Partei, nämlich um dieser in einem Umfeld, dessen Rachegelüste nicht genau abzuschätzen waren, ein Überleben zu sichern. Diese Beweisführung wird ihnen am besten gelingen, wenn sie sich von ihrer Taktik verabschieden. Einer Partei mit diesem Herkommen ist ein derartiger Kraftakt ohne weiteres zuzutrauen. Ein Muskelspiel der Führung ist dabei nicht vonnöten. Die Partei kann warten, weil sie schon durch Zusehen stärker wird. Wer hierin eine Krise vermutet, redet seine Furcht klein, aber nicht die PDS.


 
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