© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Vor 80 Jahren: Die KPD (Spartakus) versucht einer Wahlniederlage zuvorzukommen
"Auf zum letzten Gefecht!"
Kai Guleikoff

Die Gedenkstätte der Sozialisten in der Nähe des Bahnhofes Lichtenberg ist seit 1926 ein Wallfahrtsort für die deutsche Linke. Die heutige Gestaltung der Anlage geht auf einen Beschluß des Zentralkomitees der SED von Ende 1949 zurück. Auf einer der zahlreichen Marmortafeln wird auch der "Kämpfer von Januar bis März 1919 in Berlin" gedacht. Mittelpunkt des Innenhofes ist ein vier Meter hoher Porphyrstein mit der Inschrift "Die Toten mahnen uns".

Am Fuße des Monumentes befinden sich zehn Grabstätten, u.a. mit den Beschriftungen: Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, ermordet am 15. Januar 1919. Auch in diesem Jahr sollen es nach Angaben der PDS 100.000 Teilnehmer gewesen sein, die am vergangenen Sonntag unter roten Fahnen an der Gedenkstätte vorbeizogen. Die Namen Liebknecht und Luxemburg haben auch nach 80 Jahren noch politische Anziehungskraft, die nicht zuletzt auf eine Idealisierung und Verklärung dieser kommunistischen Führer in vierzig Jahren DDR zurückzuführen ist.

Vor 80 Jahren im Berlin des Jahres 1919 herrschte Bürgerkrieg in der Übergangszeit zwischen dem untergegangenen letzten deutschen Kaiserreich und der noch nicht etablierten ersten deutschen Republik. Der nach Berlin einberufene Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte (16. bis 21. Dezember 1918) hatte sich mit überwiegender Mehrheit für Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 ausgesprochen. Bereits vorher hatten sich die Teilnehmer der Konferenz der Soldatenräte des Westheeres am 1. Dezember 1918 in Bad Ems und verschiedene Rätekonferenzen in den Korpsbereichen für die Nationalversammlung und gegen die Rätemacht ausgesprochen. Der Spartakusbund kam mit seiner Losung "Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten" nicht durch. Sein Ziel der Errichtung einer deutschen Sowjetrepublik geriet damit in Gefahr.

Kaderorganisation nach bolschewistischem Vorbild

Der Spartakusbund (seit 11. November 1918) war identisch mit der Gruppe Internationale, einer am 1. Januar 1916 erfolgten Parteiabspaltung vom linken Flügel der SPD. Diese linksradikalen Internationalisten standen unter der Führung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Franz Mehring. Liebknecht hatte Mitte Dezember 1918 den Roten Soldatenbund als Kaderorganisation für eine Rote Garde nach bolschewistischem Vorbild gegründet. Die Existenzberechtigung des stehenden Heeres und die entscheidende Stellung des Generalstabes als Führungszentrum sollten damit bestritten werden.

Die Anwesenheit der 1.500 starken und schwerbewaffneten Volksmarinedivision in der Mitte Berlins wurde als Chance für die militärische Durchsetzung der Rätediktatur angesehen. Unter Führung des ehemaligen kaiserlichen Marineleutnants Heinrich Dorrenbach fügte die rote Matrosendivision der Gardekavallerieschützendivision bei den Kämpfen um das Berliner Stadtschloß am 23. Dezember 1918 schwere Verluste zu. Angesichts ihrer 56 Toten schwören die Gardekavalleristen den Roten gnadenlose Vergeltung. Die Schießereien halten bis zum Jahreswechsel 1918/19 an und gehen in die Berliner Geschichte als "Blutweihnacht" ein.

Der Spartakusbund sieht sich der Unterstützung breiter Schichten der Bevölkerung gewiß, da sich diese auf dem Schloßplatz zwischen die Kämpfenden stellten und die Gardekavalleristen teilweise entwaffneten und zur Feuereinstellung zwangen. Der Spartakusbund rief zur Reichskonferenz nach Berlin. Vom 30. Dezember 1918 bis zum 1. Januar 1919 trafen sich 83 Delegierte des Spartakusbundes aus 46 Orten, 3 Delegierte des Roten Soldatenbundes, ein Vertreter revolutionärer Jugendgruppen und eine 29 Mitglieder starke Abordnung der Gruppe der Internationalen Kommunisten Deutschlands.

Die Ironie der Geschichte will es, daß am Konferenzort im Preußischen Abgeordnetenhaus die Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund) gegründet wird. Getreu der Lehre Lenins sollte nun der Aufstand der Proletarier unter Führung einer eigenen Kampfpartei erfolgen – ein letzter Versuch, den Wahlen zur Nationalversammlung zuvorzukommen. Die Gründungsversammlung verabschiedete ein Ergebenheitsschreiben an die sowjetrussische Regierung mit dem Versprechen, daß die deutschen Kommunisten an der Seite ihrer russischen Klassenbrüder für die sozialistische Revolution kämpfen würden. Die KPD beschloß folgende Sofortmaßnahmen: Entwaffnung der Polizei, der Offiziere und aller Angehörigen der "herrschenden Klassen", Beschlagnahme aller Waffen- und Munitionsbestände und der Rüstungsbetriebe sowie Aufhebung der Kommandogewalt der Offiziere und Unteroffiziere. Weiterhin die Bildung einer Arbeitermiliz und der Roten Garde, Ablösung der Beamten durch Vertrauensleute und die Bildung eines Revolutionstribunals zur Aburteilung der Kriegsverbrecher, Verschwörer und Konterrevolutionäre. Liebknecht rief in der Resolution der Parteigründer das kämpfende Proletariat aller Länder zur gemeinsamen Weltrevolution auf.

Ein Hauptverbündeter der Spartakisten in Berlin war der Polizeipräsident Emil Eichhorn von der USPD. Dieser hatte angeordnet, vorrangig linksradikale Arbeiter zu bewaffnen und das Polizeipräsidium am Alexanderplatz wie den Marstall am Berliner Schloß zu befestigen. Am 4. Januar 1919 verfügte der preußische Innenminister Paul Hirsch (SPD) die Absetzung Eichhorns. Dieser weigerte sich und informierte die revolutionären Obleute der Berliner USPD und KPD. In der Nacht zum 5. Januar 1919 besetzten Spartakisten das Gebäude des Vorwärts, das Haupttelegrafenamt und die Reichsdruckerei. Der Generalstreik wurde ausgerufen, doch wenig befolgt. Ein deutliches Zeichen dafür, daß die Mehrheit der Bevölkerung sich wieder nach geordneten Verhältnissen sehnte.

Dafür verschärften sich die bewaffneten Auseinandersetzungen im Stadtgebiet. Liebknecht fuhr mit einem Lkw durch die Straßen und versuchte mit improvisierten Ansprachen den Stimmungsumschwung doch noch zu erreichen. Die Regierung verhängte daraufhin den Belagerungszustand und übertrug Gustav Noske (SPD) den Befehl über die Truppen in und um Berlin.

Die Aufständischen versuchten am 6. Januar 1919, die Regierung zu verhaften und begannen mit dem Sturm auf die Reichskanzlei und auf das gegenüberliegende Palais des Prinzen Friedrich-Leopold. Die Verteidiger dieser Gebäude zeigten sich vorbereitet. Die zwei Freiwilligen-Kompanien unter dem Kommando des Offizier-Stellvertreters Suppe vom 2. Garderegiment zu Fuß wehrten alle Angriffe erfolgreich ab.

Aufständische wurden im Keller erschlagen

Am 7. Januar ernannte die Regierung den ehemaligen Vorsitzenden des Soldatenrates, den Oberjäger Klawunde im Garde-Schützen-Bataillon, zum Ersten Kommandanten von Berlin. Die alten Generale durften die Politik der jungen Republik nicht offiziell beeinflussen. Die Gardekavallerieschützendivision im Raum Teltow-Zehlendorf-Potsdam hatte inzwischen Verstärkung bekommen durch das Freiwillige Landjägerkorps unter General Maercker aus Zossen. So konnte General Freiherr von Lüttwitz auf 10.000 Freiwillige für Berlin rechnen, die mit Artillerie und Panzerfahrzeugen ausgerüstet waren und ihren Auftrag darin sahen, "den Bolschewismus auszurotten".

Am Freitag, dem 10. Januar 1919, rückten die Regierungstruppen in die Reichshauptstadt ein. Auf beiden Seiten kämpften Freiwillige mit einem politischen Auftrag gegeneinander. Es kam vor, daß sich ehemalige Frontkameraden in den erbitterten Straßen- und Häuserkämpfen gegenseitig umbrachten.

Besonders hart tobten die Gefechte um die stark befestigten Gebäude des Vorwärts und des Polizeipräsidiums. Das "Regiment Potsdam" brachte drei Feldhaubitzen in offene Feuerstellung und schoß im direkten Richtverfahren 70 Granaten in das Vorwärts-Gebäude, ehe es Stoßtrupps gelang, in das Innere vorzudringen. Die 390 überlebenden Aufständischen sollten auf Befehl von Oberst Reinhard sofort standrechtlich erschossen werden. Major von Stephani vom 1. Garde-Regiment zu Fuß konnte dieses unnötige Blutvergießen in letzter Minute noch verhindern. Die nach dem Sturm auf das Polizeipräsidium am 12. Januar gefangengenommenen Spartakisten fanden keinen Fürsprecher. Im Keller des Gebäudes wurden sie von den Reinhard-Soldaten erschlagen, die damit ihre in den stundenlangen Nahkämpfen gefallenen Kameraden zu rächen suchten.

Am Abend des 15. Januar 1919 wurden der 47jährige Karl Liebknecht und die 48jährige Rosa Luxemburg zum Divisionsstab der Gardekavallerieschützendivision in das Eden-Hotel am Kurfürstendamm gebracht. Ein Denunziant hatte ihre Fluchtwohnung in Wilmersdorf der Einwohnerwehr verraten. Diese übergab die prominenten Gefangenen einer Streife der Gardekavallerieschützendivision. Mit dem Bekanntwerden der Festnahme der Führer erlosch bis Anfang März der bewaffnete Widerstand in der Stadt.

Der zweite Spartakusaufstand unter Führung von Leo Jogisches brach am 13. März mit dessen Tod zusammen. Die erbarmungslosen Kämpfe führten zu einer ebenso erbarmungslosen Abrechnung durch die Sieger. Die Aufständischen bezahlten ihren Glauben an eine Zukunft in einer deutschen Sowjetrepublik mit 1.200 Toten. Auf Regierungsseite fielen 170 Soldaten und Polizisten.

Liebknecht und Luxemburg hatten den internationalistischen Auftrag Lenins in Deutschland nicht verwirklichen können. Sie selbst und ihre sowjetrussischen Berater hatten die Stimmung unter der deutschen Arbeiterschaft falsch eingeschätzt. Von den kaisertreuen Freiwilligen der Gardekavallerieschützendivision hatten sie nie Gnade erwartet und sie auch nicht bekommen.


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