© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Behagliche Opposition
Karl Heinzen

Die Union hat aus der Lage, in die sie durch den 27. September 1998 gebracht wurde, das Beste gemacht. Die Paralysierung der Kräfte, mittels derer Helmut Kohl seine Partei auf sich zugeschnitten hatte, ist nach dem Abtritt des Führers nicht in die offene Selbstzerfleischung übergegangen. Die CDU bleibt eine deutsche Volkspartei: Unter ihrem Dach ist Unvereinbares vereint, der Wille, der sich als Resultante bildet, ist in jede Richtung nach links koalitionsfähig. Die Regierung Kohl bleibt, von ihrem Ende her betrachtet, in guter Erinnerung und dies um so mehr, als man keine Neuauflage befürchten muß.

Doch es gibt Motivationsprobleme, die bleiben: Die Union hat in 50 Jahren deutscher Nachkriegsgeschichte so ziemlich alles erreicht, was zu erreichen war. Aus unserem Land ist im großen und ganzen genau das geworden, was man sich vorgenommen hatte. An Zukunftsaufgaben ist für die neue Regierung kaum noch etwas übriggeblieben, was nicht schon längst unter Helmut Kohl irreversibel gelöst worden wäre. Hätte Gerhard Schröder nicht das Glück, mutmaßlich als Staatslenker der Jahrtausendwende in die Fußstapfen von Otto III. treten zu dürfen, so müßte er schon ein gehöriges Desaster anrichten, um in die Geschichte einzugehen. Selbst das will ihm aber niemand so recht zutrauen.

Eine solche Regierung ist schwer zu beneiden. Man muß schon auf eine geradezu pathologische Weise auf Statussymbole fixiert sein, um mit ihr tauschen zu wollen, um jene das Denken bis weit ins Unverantwortliche hinein entgrenzende Behaglichkeit aufzugeben, die allein die Rolle der Opposition ermöglicht. Auf solche mentalen Defizite dürfte man aber erst auf den niedrigen Rängen der Union stoßen.

Der Opposition geht es wie dem Torwart beim Elfmeterschießen: Sie kann nur gewinnen. Niemand darf es nach den langen Jahren des Niedergangs der Union verübeln, daß sie dieses neue Lebensgefühl gründlich auskosten möchte. Oppostion um jeden Preis: Das kann für die CDU nur heißen, nichts zu tun und nichts zu unterlassen, was eine neue Verantwortungsübernahme heraufbeschwören könnte. Bislang hat sie mit sicherer Hand alle Personalentscheidungen so getroffen, daß sie auf diesem Kurs bleiben kann. Mit Wolfgang Schäuble steht jemand an der Spitze, dem niemand den Respekt versagen darf, wenn er einmal zweiter Sieger werden sollte. Mit Christian Wulff gehört jemand zum engsten Führungskreis, der wie kein zweiter mit den Erfolgen Gerhard Schröders umzugehen gelernt hat. Aufgrund seiner ungebrochenen Jugendlichkeit könnte er hier dereinst noch zum Dauerrekordhalter avancieren. Mit Volker Rühe wird nun ein Spitzenkandidat für Schleswig-Holstein aufgebaut, der eine drohende Machtübernahme in den Ländern abwehren soll. Mit seinem auf der Hardthöhe gereiften Gespür für Symbolik hat er sein Ferienhaus in Tönning zum Hauptwohnsitz deklariert. Was aber, wenn die Rachsucht des Wählers den Ausflügler zum Bleiben zwingt?


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