© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Artenschutz: Naturschutzverbände küren "Tiere und Pflanzen des Jahres"
Ihr Schicksal bleibt ungewiß
Gerhard Quast

Daß auch die in Deutschland beheimatete Flora und Fauna eines besonderen Schutzes bedarf, ist kein Geheimnis: Über den Grad ihrer Gefährdung geben die vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) herausgegebenen wissenschaftlichen Untersuchungsberichte Aufschluß. Der "Roten Liste gefährdeter Tiere Deutschlands" (1998) ist beispielsweise zu entnehmen, daß von den in Deutschland vorkommenden Säugetierarten 38 Prozent gefährdet sind. Ähnlich stark ist die Gefährdung bei Brutvögeln (38 Prozent) und Insekten (42 Prozent), und nur wenig besser sieht es bei den Pflanzen aus: 30 Prozent der Gefäßpflanzen und 31 Prozent der Großpilze sind laut "Roter Liste der gefährdeten Pflanzen Deutschlands" (1996) vom Aussterben bedroht. Besonders dramatisch stellt sich die Situation bei Süßwasserfischen (69 Prozent), Lurchen (67 Prozent) und Kriechtieren (79 Prozent) dar, von denen mehr als zwei Drittel in die Kategorien "vom Aussterben bedroht", "stark gefährdet", "gefährdet" und "extrem selten" fallen.

Um diese nackten Zahlen mit Leben zu erfüllen und um jeweils auf das Schicksal einer akut gefährdeten Art hinzuweisen, werden seit den 70er Jahren von verschiedenen Naturschutzverbänden "Tiere und Pflanzen des Jahres" gekürt. Zum "Wildtier des Jahres 1999" erklärte die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild (SDWi) diese Jahr beispielsweise den Fischotter (Lutra lutra). Dieser wird in der Roten Liste in der höchsten Kategorie geführt: "vom Aussterben bedroht". Denn in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen ist er bereits verschwunden. Auch in den anderen Bundesländern wird es für den Otter enger: Durch Begradigung der Bachläufe, Senkung des Wasserspiegels, Uferbefestigungen, besonders aber durch Wasserverschmutzungen verschwindet der Lebensraum des äußerst seltenen Säugetieres. Sein Bestand in Deutschland wird auf 700 Exemplare geschätzt, von denen 500 östlich der Elbe zuhause sind. Optimale Lebensbedingungen findet der Otter nur noch in der Lausitzer Teichlandschaft, wo es zusammenhängende, mehr oder weniger naturnahe größere Uferlandschaften gibt.

Zum "Vogel des Jahres" erwählten der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) diesmal die Goldammer (Emberiza citrinella). Die Verbände wollen damit darauf aufmerksam machen, daß die Goldammer in den letzten Jahren von der zunehmend intensiveren Landwirtschaft bedroht wird. Ähnlich motiviert war auch die Wahl der Sumpfdotterblume (Caltha palustris) zur "Blume des Jahres". Die Stiftung gefährdeter Pflanzen will so darauf aufmerksam machen, daß das einst an Bach- und Grabenrändern und auf feuchten Wiesen weit verbreitete Hahnenfußgewächs durch die großräumige Entwässerung der Landschaft bundesweit stark im Rückgang begriffen ist.

Von der Lebensraumzerstörung sind auch die anderen "Tiere und Pflanzen des Jahres" betroffen: Vom Begradigen und Verrohren zahlloser kleiner Wasserläufe und dem Trockenlegen von Tümpeln die früher häufige, aber empfindliche und besonders schöne Silberweide, die von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) als "Baum des Jahres" ausgewählt wurde; ebenso der Nordseeschnäpel (Coregonus oxyrhynchus), den der Verband Deutscher Sportfischer (VDSF) zum "Fisch des Jahres" krönte, sowie der Satanspilz, den die Deutsche Gesellschaft für Mykologie zum "Pilz des Jahres" bestimmte.

Doch das löbliche Unterfangen der Initiatoren bringt den Pflanzen und Tieren meist nur "kurzlebige Aufmerksamkeit, aber kaum nachhaltigen Schutz", stellte vor einiger Zeit der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) nüchtern fest. Die Naturschutzverbände und Umweltstiftungen würden bei ihren Rettungsversuchen von staatlichen Stellen kaum unterstützt. Auch das Interesse der Öffentlichkeit schwanke. "Manches wäre einfacher, wenn wir in Deutschland Gorillas, Tiger und Elefanten zum Tier des Jahres küren könnten", erklärte resigniert Kerstin Oerter, die BUND-Naturschutz-Referentin. Kein Hahn krähe nach der unscheinbaren Krebsschere ("Blume des Jahres 1998"), dem rätselhaften Schweinsohr ("Pilz des Jahres 1998) oder gar dem unbekannten Strömer ("Fisch des Jahres 1998"). Nur wenn man – wie bei der Feldlerche ("Vogel des Jahres 1998") – Emotionen wecken könne, bekomme man einen Platz in den Medien. "Warum das Tier oder die Pflanze gefährdet ist und was zum Schutz der jeweiligen Art zu tun ist, liest oder hört man selten. Da wird es dann auch gleich politisch brisant, weil Schuldige genannt werden müßten", vermutet sie als Grund für die Zurückhaltung.

Die Auserwählten unter den Tieren und Pflanzen haben tatsächlich vor allem Symbol-Charakter und stehen in den meisten Fällen für bestimmte Biotope oder gar für ganze Landschaften, die bedroht sind. Und so müssen auch die Tiere und Pflanzen des Jahres 1999, die Goldammer, die Sumpfdotterblume, der Fischotter, die Silberweide und der Nordseeschnäpel stellvertretend herhalten für ihren bedrohten Lebensraum. Denn der Schutz jeder einzelnen Art ist nutzlos, wenn ihr Lebensraum zerstört wird.


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