© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Unwort des Jahres
von Thorsten Thaler

Was hat die "ethnische Säuberung" von 1992 mit der "Überfremdung" ein Jahr später zu tun? Was verbindet die "Peanuts" des Jahres 1994 mit der "Diätenanpassung" von 1995? Welche Gemeinsamkeit besteht zwischen der "Rentnerschwemme" im Jahr 1996 und dem "Wohlstandsmüll" von 1997? Antwort: Alle diese Begriffe sind von einer Jury aus Sprachwissenschaftlern und Medienvertretern zum jeweiligen "Unwort des Jahres" gekürt worden.

Für 1998 läuft die Frist für die Einreichung von Vorschlägen für das Unwort des Jahres noch bis zum 8. Januar; Spitzenreiter ist bisher das Wort "Gegenfinanzierung". Die Entscheidung über das "Unwort des Jahres" trifft eine sechsköpfige Jury, zu der als ständige Mitglieder vier Sprachwissenschaftler gehören: die Professoren Albrecht Greule (Regensburg), Margot Heinemann (Zittau) und Rudolf Hoberg (Darmstadt) sowie der Jury-Sprecher Horst Dieter Schlosser von der Universität Frankfurt. Als Vertreter der Medien, die jedes Jahr wechseln, sind dieses Mal die Chefredakteurin Fernsehen beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt, Luc Jochimsen, sowie der ZDF-Journalist Reinhard Appel mit von der Partie.

Ob es bei dem momentanen Favoriten für das Unwort des Jahres 1998 bleibt, ist indes völlig offen. Wenn es nach dem Willen einflußreicher Politiker aller Couleur geht, sollte statt "Gegenfinanzierung" vielmehr der Begriff "Berliner Republik" gewissermaßen auf den Sprachindex gesetzt werden. Eine große Koalition, die von SPD-Politikern wie dem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Johannes Rau, und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping bis zu Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel reicht, will die sich langsam in ersten Umrissen abzeichnende Berliner Republik wenigstens sprachlich ächten. Der Begriff sei mißverständlich, weil er falsche Assoziationen zur Weimarer Republik wecke und davon ausgehe, daß es eine Bonner Republik gegeben habe, die mit dem Umzug von Parlament und Regierung dieses Jahr nach Berlin abgeschlossen sei. Daß die Bonner Republik als Synonym für die alte (westdeutsche) Bundesrepublik tatsächlich bereits vor bald zehn Jahren mit dem Fall der Mauer ihr Ende gefunden hat, will den Repräsentanten eben dieser untergegangenen Republik bis heute nicht in den Sinn kommen.

Immerhin: Ihre Ängste vor einer Berliner Republik, die tatsächlich einen Bruch mit bestimmten politischen Traditionen (Parteienklüngel, Westbindung, Souveränitätsverzicht) der alten Bundesrepublik anstrebt, sind berechtigt. Notwendige Veränderungen damit aufhalten zu wollen, einen Begriff zum Unwort des Jahres zu erklären, ist töricht.


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