© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Kolumne:
Menschen
von Peter Sichrovsky

"Alle Menschen sind frei". So beginnt der erste Artikel der Menschenrechtsdeklaration, der in den letzten Wochen feierlich gedacht wurde. Entsprechend sorgenvoll haben sich verschiedene Politiker und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen anläßlich dieses Gedenktages zu Wort gemeldet. Die Wahrung der Menschenrechte ist in der Tat eine wichtige Errungenschaft der modernen Demokratien, und stolz sollte jeder sein, der sich für die Einhaltung einsetzt.

Als aufmerksamer Leser der mahnenden Worte zum Gedenktag blieb einem jedoch nicht verborgen, daß da selbst in einer Demokratie nicht sehr viele übrig bleiben, die sich glücklich fühlen können, unter Wahrung der Menschenrechte ihr Leben zu leben. Als diskriminiert wurden da unter anderem die Homosexuellen, Lesben, Ausländer, Einwanderer, Frauen, Kinder, Flüchtlinge, Mitglieder religiöser und kultureller Minderheiten, Künstler, Arbeitslose und diese Liste ist noch lange nicht vollständig.

Nun soll hier bei Gott nicht erklärt werden, daß auch nur eine Gruppe aus dieser Liste zu Unrecht auf ihre Diskriminierung beharrt. Wer jedoch bleibt dann noch übrig, der nicht diskriminiert wird?

Versuchen wir den Menschen zu definieren, der keinerlei Verfolgung oder Einschränkung seiner Freiheit ausgesetzt ist, so müßte derjenige zumindest männlich sein, heterosexuell, katholisch, Deutscher, in einem Angestellten-Verhältnis oder erfolgreich selbständig und darf kein Künstler sein.

Doch der heterosexuelle, christliche, Angestellte, männliche deutsche Nicht-Künstler (einfachheitshalber auch HCAMDNK genannt), sollte sich nicht zu früh über seine Freiheit freuen. Die zu genießen, bedeutet seine Schuld am Schicksal der Diskriminierten zu mißachten. Denn es kann ja nur diese Mehrheit der Verfolgten geben, wenn sie von der Minderheit der HCAMDNK in diese Notsituation gezwungen werden. Diese im Besitze der Menschenrechte agierende Gruppe der HCAMDNK sollte jedoch von den Vertretern der Menschenrechtsorganisation genauer beobachtet und untersucht werden. Es könnte sein, daß durch eine Konzentration an Vorwürfen von Seiten der Verfolgten bei dieser bisher zufriedenen Minderheit ein gewisser Leidensdruck entsteht, dessen psychische Folgen nicht zu unterschätzen sind.

Die glückliche Minderheit der HCAMDNK würde dann sehr schnell zu einer glücklosen und verfolgten Minderheit werden, und wer bliebe dann noch übrig, der sich frei und unabhängig fühlen darf? Ein Staat der Glücklosen, in der die eine diskriminierte Minderheit die andere verfolgt, wäre die Folge.


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