© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Hannah Arendt / Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975
Der Philosoph und die Politik
Volker Kempf

Im Jahre 1933 bedankte sich Karl Jaspers bei Martin Heidegger schriftlich für die ihm zugesandte Rektoratsrede, der er aber nicht viel abgewinnen könne: "Mein Vertrauen zu Ihrem Philosophieren, das ich seit dem Frühjahr (…) habe, wird nicht gestört durch Eigenschaften dieser Rede, die zeitgemäß sind, durch etwas darin, was mich ein wenig forciert anmutet und durch Sätze, die mir auch wohl einen hohlen Klang zu haben scheinen." Die Rektoratsrede von Heidegger, mit der er sich zu Propagandazwecken für die Nazis mißbrauchen ließ, war für Jaspers "unedel", von "substantieller Fremdheit" und stand in merkwürdigem Kontrast zu dem Fluidum des Philosophierens.

Zehn Monate währte Heideggers Zeit als Rektor an der Freiburger Universität. Dann machte er sich 1934 allen Gerüchten zum Trotz auf leisen Sohlen wieder davon. Auch daß Heidegger Edmund Husserl den Zugang zur Universität nicht gewährt habe, muß als Gerücht gelten, da keine entsprechenden Fakten vorliegen. Fakt ist hingegen, daß die Nationalsozialisten in den 40er Jahren Heidegger als Kandidaten zum Entzug der Lehrbefugnis handelten. Für freie Denker war kein Platz im Dritten Reich. Die Alliierten mußten das aktenkundige Vorhaben nur noch vollstrecken, wie Beda Allemann mit Blick auf die in Frankreich geführte Kontroverse um Heidegger unter der Überschrift "Martin Heidegger und die Politik" feststellt (in: Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes, hrsg. v. Otto Pöggler, 1984). Die sagenumwobenen zehn Monate Heideggers als Rektor unter Hitler bleiben als Faktum aber in jedem Falle bestehen.

Um die Zeit der Machtergreifung Hitlers bricht der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Heidegger ab und wird erst wieder im Februar 1950 fortgeführt. Fakten über Arendts Ansichten zu Heideggers Verhalten im Dritten Reich bleiben damit weitgehend in Schweigen gehüllt und der Spielraum für Interpretationen entsprechend groß. Ursula Ludz, Herausgeberin des Briefwechsels, deutet den Abbruch der Korrespondenz in ihrem Nachwort so: Der letzte bezeugte Brief von Heidegger an Arendt, im Winter 1932/33 geschrieben, "ist von großer Bedeutung über die private Beziehung hinaus. Heidegger äußert sich in ihm – kurz vor der Übernahme des Rektorats – zu seinerzeit offenbar kursierenden Vorwürfen, er sei ein Antisemit, die Arendt in einem nicht erhalten gebliebenen Brief an ihn herangetragen hatte. Daß seine Antwort sie befriedigt hätte, ist nicht anzunehmen; aber sie hat offenbar nicht unmittelbar reagiert, sondern zunächst willentlich, dann möglicherweise umständehalber geschwiegen. Wahrscheinlich erst 1948 hat sie versucht, die Verbindung (…) wieder aufzunehmen." So weit die Deutungsversuche der Herausgeberin. In dem weiter oben genannten Text "Martin Heidegger und die Politik" wird erhellend eine französische Untersuchung aufgegriffen, in der an die 500 Aussagen über Heideggers angeblichen Antisemitismus überprüft wurden. Eine Aussage sei belastend und tauche in polemischen Interpretationen stets als Beleg auf. Nun geht die französische Untersuchung auf das Jahr 1967 zurück. Mittlerweile sind Aussagen weiterer Zeitzeugen aufgetaucht. So von Günther Anders (eig. Stern), der der erste Ehemann von Hannah Arendt war. Anders weilte vor der Machtergreifung Hitlers gelegentlich bei Heideggers und belastet mit seinen Erinnerungen, niedergeschrieben in den "Ketzereien" (1982), vor allem Frau Elfride Heidegger. Ähnliches läßt sich von Hannah Arendt sagen, die von den Schwierigkeiten einer Begegnung mit Frau Heidegger berichtet, welche sich mit Blick auf ihre Vergangenheit ergeben würden.

Wie immer sich der Einfluß von Elfride Heidegger auf ihren Mann ausgewirkt haben mag, der vorliegende Briefwechsel enthält einen Text von Hannah Arendt, in dem sie recht deutlich auf Heideggers politisches Engagement zu sprechen kommt. Es handelt sich um Ausführungen für eine Rundfunksendung zum 80. Geburtstag von Heidegger im Jahre 1969. Im Anschluß an Überlegungen zu Plato, der im Staat nicht nur den Dichtern das Handwerk legen, sondern auch den Bürgern das Lachen verbieten wollte, schreibt Arendt zum Ort des Denkens bei Heidegger: "Nun wissen wir alle, daß auch Heidegger einmal der Versuchung nachgegeben hat, seinen Wohnsitz zu ändern und sich in die Welt der menschlichen Angelegenheiten ‘einzuschalten’ (…) und was die Welt betrifft, so ist es ihm noch um einiges schlechter bekommen als Plato, weil der Tyrann und seine Opfer sich nicht jenseits der Meere, sondern im eigenen Lande befand. (…) Er [Heidegger] war noch jung genug, um aus dem Schock des Zusammenpralls, der ihn nach zehn kurzen Monaten, hektischen Monaten (…) auf seinen angestammten Wohnsitz zurücktrieb, zu lernen und das Erfahrene in seinem Denken zu verwurzeln". Diese Erfahrung führte Heidegger, wie Arendt weiter ausführt, zur "Gelassenheit", zum "Wollen des Nicht-Wollens". Das Denken ist kein Wollen, und Heidegger fiel über zehn Monate dem Wollen anheim und verlor dabei das Denken, was Jaspers so befremdend angemutet haben mag.

Die Faktenlage um Heideggers politisches Engagement der zehn Monate um 1933/34 wird durch den vorliegenden Briefwechsel kaum erweitert. Dafür entfaltet sich dem Leser eine innige Beziehung zwischen Arendt und Heidegger, die in den 20er Jahren aufblitzte und beide nicht voneinander losließ. Die Unterbrechung des Briefwechsels in den 30er und 40er Jahren mag Anlaß zu Überlegungen geben, wie sie die Herausgeberin Ludz in ihrem Nachwort angestellt hat. Bei allen Spekulationen wird aber deutlich, daß Arendt von Heidegger, wie sie selbst bekundet, das Denken gelernt hat. Dies mag abschließend ein Wink für den Leser sein, unter dem rätselhaften und bedauerlichen Kapitel um Heidegger und die Politik seine Philosophie nicht zu begraben. Ansonsten bliebe gänzlich ohne Sünden nur noch Kant am Philosophenhimmel zurück.

 

Hannah Arendt/Martin Heidegger: Briefe 1925 bis 1975. Und andere Zeugnisse. Herausgegeben von Ursula Ludz, Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 1998, 435 Seiten, 68 Mark.


 
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