© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Nachlese: Zum vergangenen 150. Gedenkjahr der Revolution von 1848
Eine gefühlsmäßige Kontinuität
Gerhard Eiselt

In vielen Gedenkaufsätzen wurde betont, in der Revolution sei das Bürgertum von einer Furcht vor Radikalisierung der Revolution gebremst worden und dies habe den Erfolg verhindert. Deshalb wird die Mäßigung der Revolition mißbilligt.

Hier werden zwei wichtige Gesichtspunkte mißachtet. 1848 war die Terrorphase der Französischen Revolution ebenso lange vorbei wie heute der Massenmord an den Juden. Der Terror des Wohlfahrtsausschusses war 1848 so gegenwärtig wie heute der Judenmord. Die blutigen Folgen einer Radikalisierung standen 1848 den Zeitgenossen deutlich vor Augen und bremsten jede Radikalisierung, bestätigt auch durch den öffentlichen Mord an zwei rechtsstehenden Abgeordneten der Paulskirche in der "Zweiten Revolution" vom September 1848.

Ein weiterer Gesichtspunkt: Anfang Februar 1848 erschien das Kommunistische Manifest (Manifest der Kommunistischen Partei) von Marx und Engels, in dem die gewaltsam errichtete proletarische Klassendiktatur gefordert wurde. Das von Courtois herausgegebene Schwarzbuch des Kommunismus belegt die entsetzlichen Folgen für die Staaten, in denen dieses Konzept umgesetzt wurde. Wer damals Radikalisierung ablehnte, handelte klug.

Die Revolution von 1848 ist insoweit gescheitert, als es ihr nicht gelang, einen kleindeutschen Staat unter preußischer Führung als konstitutionelle Monarchie mit gewählter Volksvertretung zu etablieren. Aber die Revolution siegte im geistig-politischen Bereich, denn die konstitutionelle Monarchie galt nunmehr in unterschiedlicher Ausprägung in allen deutschen Staaten außer dem ständestaatlichen Mecklenburg und den vier Freien Städten. Die konstitutionelle Monarchie war nach verbreiteter Überzeugung nur eine Übergangsphase zur Parlamentarisierung.

In dieser Übergangsphase arbeiteten die Konservativen und die Rechtsliberalen zunehmend politisch zusammen. Schon im vor 1848 noch absolut regierten Preußen hielten liberale Exponenten wie der Oberpräsident von Schön liberales Denken in der Führungsschicht lebendig. Die in Königsberg in den Lehren von Adam Smith geschulten Verwaltungsbeamten mit ihrer wirtschaftsliberalen Einstellung verhalfen in Preußen und im Norddeutschen Bund von 1826 bis 1867 dem Zollvereinsgedanken und der Gewerbefreiheit zum Sieg. Durch Königgrätz und die Gründung des Norddeutschen Bundes mit einem demokratischen Wahlrecht zum Reichstag begann die fruchtbare Zusammenarbeit Bismarcks mit der neuen Nationalliberalen Partei, die zum guten Teil aus liberalen Politikern der Paulskirche bestand. Auch nach Bismarcks Kurswechsel vom Freihandel zum Schutzzoll 1878 gab es viel politische Zusammenarbeit zwischen Konservativen und Nationalliberalen bis hin zur Sozialgesetzgebung.

So konnte konservatives und rechtsliberales politisches Denken ein Deutschland schaffen, dessen Bildungswesen weltweit berühmt war, dessen naturwissenschaftliche und technische Entwicklung eine schnelle Industrialisierung und damit großen Wohlstand schuf und dessen Sozialgesetzgebung, getragen von Konservativen, Nationalliberalen und Zentrum gegen das "Nein" von Linksliberalen und Sozialdemokraten international Vorbildcharakter hatte. Das Kaiserreich war ein Gemeinwesen mit optimistischer Grundhaltung, Aufstiegschancen und schneller Modernisierung. Der erhebliche Abstand zwischen den sozialen Schichten wäre allmählich gemildert worden.

Die Revolution von 1848 wollte Ziele der Burschenschaft von 1817 verwirklichen, die in politischer Enttäuschung über das Ergebnis der Freiheitskriege formuliert worden waren: Ein deutsches Reich für die deutsche Nation mit freigewählter Volksvertretung, Pressefreiheit, freiheitlich geprägtem Leben. Noch 1848 wurde die Zielsetzung auf die kleindeutsche Lösung beschränkt, weil die großdeutsche nicht gangbar war. Die kleindeutsche Lösung wurde von Bismarck realisiert. Seitdem leben wir Deutschen in der Kontinuität des deutschen Reiches von 1871, unbeschadet des Übergangs zur Republik 1918/19, des Verlustes der inneren Freiheit von 1933–1945, der vorübergehenden Verwirklichung der großdeutschen Lösung 1938, des Verlustes der äußeren Freiheit 1945 und der Teilung des nach Abtrennung der Ostgebiete verbliebenen Deutschlands in zwei Staaten mit unterschiedlichem Freiheitsverständnis. Die Deutschen hielten an der Idee eines freiheitlichen Staates für alle Deutschen fest. So kam es zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Es gibt eine historische, politische und gefühlsmäßige Kontinuität Deutschlands von 1817 über 1848 und 1871 bis heute, die aber die Linksintellektuellen nicht sehen wollen.

 

Prof. Dr. jur. Gerhard Eiselt war Staatssekretär beim Senator für Schulwesen in Berlin.


 
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