© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Front National: Zwischen Le Pen und Mégret ist ein erbitterter Kampf um die Führung in der Partei entbrannt
Frankreichs Rechte zerfleischt sich selbst
Karlheinz Weissmann

Der Canard enchaine, die satirische Zeitung der französischen Linken, brachte schon am 26. August eine ihrer gewohnt drastischen Schlagzeilen: "Der Front National hat den Arsch zwischen zwei Chefs". Gemeint waren damit der gegenwärtige Präsident des FN, Jean-Marie Le Pen, und der Generaldelegierte der Partei, Bruno Mégret. Grund für die folgenden Spekulationen über einen Führungskampf in der radikalen Rechtspartei war die Auseinandersetzung um eine Spitzenkandidatur von Le Pens Frau Jeanne-Marie, genannt Jany. Da Le Pen wahrscheinlich erneut das passive Wahlrecht verlieren wird – es steht eine Gerichtsentscheidung wegen der handgreiflichen Auseinandersetzung mit einer sozialistischen Politikerin bevor –, will er ersatzweise seine Gattin auf die erste Listenposition des Front bei den Europa-Wahlen setzen lassen. Das hatte den Widerspruch Mégrets herausgefordert, der allerdings beim Kampf um das Bürgermeisteramt von Vitrolles einen ähnlichen Schachzug ausgeführt hat und sich in der Position wegen Aberkennung des passiven Wahlrechts durch seine Frau vertreten läßt.

Mégrets Einspruch hing auch weniger mit Vorbehalten gegen die Taktik oder mit Zweifeln an der Eignung Jany Le Pens als Platzhalterin zusammen, sondern ging auf die Sorge zurück, daß wieder einmal eine parteipolitische Entscheidung zum Vorteil von Le Pens Clan gefällt und die künftige Entscheidung über dessen Nachfolge präjudiziert werden könnte. Die große Bedeutung, die schon Le Pens Töchter aus erster Ehe und der Schwiegersohn Marechal für die Parteiführung besitzen, lassen die Befürchtung Mégrets durchaus berechtigt erscheinen. Le Pen seinerseits betrachtet den Front National als sein persönliches Werk und reagiert empfindlich, wenn er den Eindruck gewinnt, daß man es ihm aus der Hand zu nehmen sucht.

Der Besitzerstolz Le Pens ist insofern nachvollziehbar, als der Front National nicht nur von ihm gegründet, sondern auch in den langen Jahren der politischen Erfolglosigkeit zusammengehalten wurde. Der 1928 als Sohn eines bretonischen Fischereiunternehmers geborene Le Pen begann seine politische Karriere in den fünfziger Jahren als Gefolgsmann Pierre Poujades, der als Nationalist und Interessenvertreter der Agrarier und des Mittelstandes eine Anhängerschaft sammeln konnte, die in Umfang und Zusammensetzung (mit Ausnahme des starken bäuerlichen Anteils) derjenigen des Front National ähnelt.

Europa-Wahlen sorgten für Stimmenzuwachs im Land

Le Pen trennte sich indes bald von der Bewegung, die wie so viele Gruppen der radikalen Rechten an inneren Streitigkeiten zerbrach. Er konzentrierte sich danach auf die Verteidigung der Algerie Francaise und schloß sich dem antigaullistischen "Nationalkomitee" Jean-Louis Tixier-Vignancourts an, bevor er nach dem Scheitern auch dieses Anlaufs eine eigene Organisation als Sammelbecken der zerstrittenen "nationalen, sozialen und volksnahen Rechten" gründete. Diese Aufgabe konnte der am 5. Oktober 1972 gebildete Front National aber mehr als zehn Jahre lang nur sehr unvollkommen erfüllen.

Die neue Partei hatte nicht nur mit Abspaltungen zu kämpfen, sie litt auch an fortdauernder politischer Bedeutungslosigkeit. Das änderte sich erst mit den Europa-Wahlen vom Juni 1984, bei denen der Front durch eine scharf gegen die EG-Politik gerichtete Agitation 11 Prozent der Stimmen erreichte und damit an die Ergebnisse anknüpfen konnte, die er vereinzelt schon bei den Gemeindewahlen und -nachwahlen im März und September des Vorjahres erreicht hatte.

Während viele Beobachter glaubten, es gehe bloß um eine neue Aufwallung des Kleine-Leute-Nationalismus, der in Frankreich eine lange Tradition hat, warnte Le Monde damals schon, "daß nichts zu der Annahme berechtigt, es handelt sich nur um ein Strohfeuer". Der Grund für die Warnung des einflußreichen Blattes lag in der Ausrichtung von Le Pens Propaganda, in der der Antikommunismus – im Gegensatz zu den übrigen Ultras – eine vergleichsweise geringe Rolle spielte. Selbst die Auseinandersetzung mit der damals seit drei Jahren dauernden Präsidentschaft des Sozialisten Mitterrand trat in den Hintergrund, während Le Pen sich darauf konzentrierte, die Liberalen und die Konservativen wegen ihrer Laxheit und Inkonsequenz auf vielen Politikfeldern anzugreifen; die Kritik an der Aufgabe französischer Interessen zugunsten der EG-Richtlinien, an der Einwanderung, der wachsenden Kriminalität und der Nachgiebigkeit gegenüber lautstarken Forderungen rassischer oder sexueller Minderheiten spielte eine wichtige Rolle, um die größer werdende Anhängerschaft zu binden.

Mit seinem Ansatz hatte der Front tatsächlich nicht nur Erfolg bei der traditionellen Klientel der politischen Rechten, sondern auch bei jenen Bürgern, die durch die Entwicklung Frankreichs tief verunsichert waren. Dementsprechend erzielte Le Pen größere Erfolge seit dem Beginn der achtziger Jahre vor allem im Süden, im Südwesten und im Osten des Landes, wo die Migration längst zu erheblichen Problemen geführt hatte.

Trotz der massiven Kampagnen seiner "antifaschistischen" Gegner konnte Le Pen auch bei den Präsidentschaftswahlen vom 24. April 1988 seine Stimmenanzahl steigern und erreichte einen Anteil von 14,4 Prozent der abgegebenen Voten. Nur das in der Zeit der bürgerlichen Majorität (1986–1988) eingeführte absolute Mehrheitswahlrecht führte dazu, daß seiner Partei im Folgejahr der Wiedereinzug in das Parlament versagt blieb; zwischen 1989 und 1993 war der FN bloß mit einem Abgeordneten vertreten, seither gibt es gar keinen Delegierten der Partei mehr in der Nationalversammlung. Der Front konzentrierte sich deshalb auf andere Urnengänge – der kommunalen und regionalen, aber auch der europäischen Ebene – und konnte seine Stimmenzahl dabei nicht nur halten, sondern kontinuierlich ausbauen. Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit der Präsidentschaftswahl vom April 1995, bei der Le Pen 15 Prozent der Stimmen erhielt und jetzt für jeden erkennbar die Begrenzung seines bisherigen Wählerpotentials überschritt: 19 Prozent der Unterfünfundzwanzigjährigen und 27 Prozent der Arbeiter (gegenüber 20 Prozent, die für den Sozialisten Lionel Jospin votierten) stimmten für den Chef der Nationalen Front.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Le Pen immer wieder versucht, eine Annäherung an die Vertreter der Bürgerlichen zu erreichen, ihnen vor allem die Unterstützung gaullistischer oder liberaler Kandidaten bei Stichwahlen angeboten, war damit aber regelmäßig auf massive Ablehnung gestoßen, die vor allem der Chef der Gaullisten, Jacques Chirac, befürwortete. Der Sieg der Linken bei den Parlamentswahlen vom Juni 1997 hat aber die Zweischneidigkeit dieser Strategie für die Mitte deutlich erkennen lassen: Während die "pluralistische" Linke keinen Anstand nahm, die Unterstützung der Kommunisten zu akzeptieren (und sie später in die Regierung einzubeziehen), blieben die Bürgerlichen auf die Abgrenzung vom FN eingeschworen.

Mégret will eine Gegen-Volksfront von rechts

Dabei regte sich zwar Widerstand an der Basis, den Chirac, der nun über die Autorität des Staatspräsidenten verfügte, jedoch immer niederzuhalten wußte. Zum offenen Ausbruch kam die Rebellion erst bei den Regionalwahlen im vergangenen Frühjahr. Wieder erlangte der Front 15 Prozent der Stimmen, aber entscheidender wirkte noch, daß im Fall von fünf Regionalräten ein bürgerlicher Präsident nur mit Unterstützung des Front gewählt werden konnte. Diejenigen Kandidaten, die diese Hilfe akzeptierten, sehen sich seither nicht nur heftigen Angriffen der Linken ausgesetzt, sondern auch mit den Disziplinierungsversuchen ihrer Parteiführungen konfrontiert.

Das ist eine Situation, die Bruno Mégrets Kalkül entsprechen muß, der seit langem eine Art Gegen-Volksfront von rechts unter Einbeziehung des FN schaffen möchte. Dem standen und stehen allerdings nicht nur Widerstände bei den Bürgerlichen entgegen, sondern auch der Unsicherheitsfaktor Le Pen. Wahrscheinlich würde Mégret die Einschätzung eines ehemaligen FN-Funktionärs, Roland Gaucher, teilen, der die paradoxe Funktion Le Pens für seine Partei auf die Formel gebracht hat: "Die Stärke des Front ist zum einen Teil das Charisma seines Führers", aber gleichzeitig sei "seine große Schwäche das Temperament desselben Mannes und der Kult", der um ihn betrieben werde. Das "Temperament" hat Le Pen nicht nur gegenüber einem Journalisten äußern lassen, daß es sich bei den Gaskammern lediglich um ein "Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs" gehandelt habe, es hat auch immer wieder zu verbalen Entgleisungen und gelegentlichen körperlichen Attacken geführt, die ihm wohl Publizität verschafften und die Sympathien des Wählers kaum beeinträchtigten, aber jedesmal die Seriosität des Front in Frage stellten.

Kaum jemand dürfte ein so empfindliches Sensorium für diesen Sachverhalt haben wie Mégret, was seine Herkunft und seine politische Entwicklung ausreichend erklären. 1949 geboren, stieß er erst 1985 nach der Aufstiegsphase zum FN und gehörte zu einer ganzen Gruppe von Absolventen der französischen Elitehochschulen, der ENA (Ecole Nationale d’Administra-tion) und der Ecole Polytechnique, die damals zum Front übertraten. Was sie einte, war neben der Enttäuschung über die Gaullisten und die Liberalen – Megret hatte dem Zentralkomitee des gaullistischen RPR angehört und war Abgeordneter der Partei gewesen – ein eminentes Interesse an "ideologischen" Fragen. Mégret, der alle Aussichten besaß, ein erfolgreiches Mitglied des Establishments zu werden (sein Vater gehörte dem Staatsrat an und war hoher Beamter in der französischen und der europäischen Bürokratie, er selbst absolvierte eine aussichtsreiche Laufbahn als Verwaltungsfachmann), bezeichnete als sein Schlüsselerlebnis das Jahr ’68: die Erfahrung, welche Macht die Ideologie besitzen kann, den außergewöhnlichen Einfluß der linken Weltanschauung und die eklatante Schwäche des Staates, der doch über alle Mittel verfügte, aber trotzdem nicht in der Lage war, die Rebellen zu besiegen. Seine Zugehörigkeit zu einem intellektuellen Zirkel der "Neuen Rechten", dem Club de l’Hor-loge, der vor allem aus "Enarchen" bestand und sich mit Fragen der Theoriebildung und der "Metapolitik" beschäftigte, wird auf diesem Hintergrund ebenso verständlich wie das besondere Gewicht, das er bis heute programmatischen Fragen beimißt.

Mégrets ehemaliger Chef, der gaullistische Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Robert Galley, äußerte über seinen früheren Untergebenen: "Mégret war im tiefsten Nationalist ... er glaubte an die Größe Frankreichs". Außerordentlich intelligent, diszipliniert, distanziert, ehrgeizig, hat Mégret etwas von dem technokratischen Typus an sich, der für die Administration Frankreichs so kennzeichnend ist, aber es handelt sich – auch wenn das als Widerspruch erscheinen mag – um einen Technokraten, den ein Enthusiasmus treibt. Ob er damit allerdings als Parteiführer des FN geeignet wäre, einer Partei, die noch so sehr Protestbewegung ist und ihre Erfolge nicht zuletzt aus dem Schillern des Programms zwischen bürgerlichen und national-sozialen Vorstellungen zieht, ist fraglich. Gerade seine intellektuelle Überlegenheit hat Mégret viele Feinde in den eigenen Reihen gemacht, und das Fehlen jener Hemdsärmeligkeit, die Le Pen ohne Frage besitzt, dürfte immer für eine gewisse Fremdheit des Chefideologen und Parteiintellektuellen gegenüber der proletarischen und kleinbürgerlichen Anhängerschaft des Front sorgen.

Le Pen seinerseits hat es in der Vergangenheit verstanden, sich Mégrets Loyalität zu sichern und dessen Ehrgeiz Ziele zu setzen. Trotzdem gab es Konflikte, die sich kaum vermeiden ließen, und auch der Widerstand Le Pens gegen eine – mit Sicherheit erfolgreiche – Spitzenkandidatur Mégrets bei den Wahlen zum Europäischen Parlament erklärt sich nicht nur aus Sorge vor der Stärkung von Mégrets Unabhängigkeit; der Streit hat auch eine grundsätzliche Qualität.

Französische Rechte umfaßt drei Strömungen

Geht man über den persönlichen Rahmen hinaus, kann man in Le Pen und Mégret Vertreter von zwei Grundpositionen der französischen Rechten sehen und ihren aktuellen Streit als Kennzeichen des latenten Konflikts dieser Positionen betrachten. Sehr vereinfacht läßt sich behaupten, daß die französische Rechte drei große Strömungen umfaßt: eine traditionalistische, die stark durch den Katholizismus (und teilweise den Monarchismus) bestimmt war, aber heute nur noch geringe Bedeutung besitzt, eine etatistische, die eine spezifische Vorstellung von der grandeur und der Sendung Frankreichs besitzt, und der Intensität nach kaum weniger nationalistisch ist als die dritte, die populistische Rechte, die sich von ihr unterscheidet durch einen weniger elitären, jakobinischen und volkstümlichen Zug.

Während Le Pen in diesem Sinn ein Vertreter der populistischen Rechten ist, gehört Mégret ohne Zweifel der zweiten, etatistischen Rechten an. Unter den gegebenen Umständen und angesichts des Erfolgs, mit dem der Gaullismus seit Gründung der Fünften Republik Teile der Rechten zu binden verstanden hat, kann keine der Bewegungen allein erfolgreich sein.


 
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