© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Institut für Demokratieforschung: Vorträge zur politischen Situation nach dem Regierungswechsel
Jüngere appellieren an die ältere Generation
Harald Hoss

Am 15. Dezember hatte das Institut für Demokratieforschung (IfD) in die Bonner Landesvertretung von Baden-Württemberg eingeladen. Bevor die Referenten Lothar Bossle (Würzburg), Klaus Rainer Röhl (Köln) und Erwin K. Scheuch (Köln) die politische Situation nach dem Regierungswechsel analysierten, gedachte Helmhold Schneider, Vizepräsident des Instituts, dem Ehrenpräsidenten des IfD, Erich Mende. Schneider porträtierte den verstorbenen früheren Vizekanzler als ritterlichen, aufgeschlossenen Patrioten, der immer an Deutschlands Wiedervereinigung geglaubt habe.

In seinem Referat setzte sich Bossle mit sozialistischen Machteroberungsstrategien auseinander. Es gebe drei Typen des sozialistischen Führungspersonals: den Volkstribun à la August Bebel, Parteisoldaten wie Rudolf Scharping und den Typ des Bohèmiens. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Oskar Lafontaine verkörperten letzteren in Reinkultur. Der Bohèmien, der "politische Liebhaber", habe keine wirklichen Überzeugungen, sondern lediglich einen "unernsten Gesinnungshaushalt". Mit Hilfe des "Phantomgebildes" der sogenannten Neuen Mitte sei es den Linken gelungen, die Macht zu erlangen. Diese werde nun zur Verwirklichung politischer Dogmen eingesetzt. Bossle wies in diesem Zusammenhang auf den Umgang von Bündnis 90/Die Grünen mit der Kernindustrie hin.

Der Publizist Klaus Rainer Röhl erklärte, daß dem Wahlsieg der Linken der vielzitierte Lange Marsch durch die Institutionen vorangegangen sei. Dieser sei wegen der "Selbstvergessenheit des Establishments" erfolgreich gewesen: "Die Schlüssel der Stadt wurden den Belagerten hingereicht."

Einig waren sich Bossle, Röhl und das Plenum, daß der Zustand der bürgerlichen und liberalen Parteien derzeit desolat und eine Rückbesinnung auf das eigene Wählerpotential unumgänglich sei. Nur mit Kampfgeist könne die Situation geändert werden. Aber: "Vom Kampfgeist darf man nicht reden, man muß ihn haben", so Röhl.

Leider befanden sich nur wenige jüngere Zuhörer im Publikum, die sich in der Aussprache aber um so deutlicher zu Wort meldeten und forderten, daß endlich eine Vernetzung aller demokratischen nicht-linken Kräfte stattfinden müsse. "Lassen Sie uns nicht im Regen stehen", appellierte einer von ihnen an die ältere Generation.

Der Aussprache schloß sich der Vortrag des Soziologen Erwin K. Scheuch an, der das bestehende Parteiengefüge in Frage stellte.


 
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