© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Pinochet: Die Globalisierung des Rechts
Cowboy-Justiz
Alain de Benoist

Die geschichtemachende Rechtsentscheidung des britischen Oberhauses, die Auslieferung General Pinochets zu genehmigen, begeistert seine Gegner und entrüstet seine Anhänger. Diese Reaktionen sind verständlich. Andererseits veranlassen sie zu der Beobachtung, daß es genügend andere amtierende Diktatoren gibt, gegen die die Internationale der Richter nichts unternimmt. (In China werden jährlich ebensoviele Opponenten hingerichtet, wie Pinochet in 17 Jahren hat verschwinden lassen.) Aber solche Polemiken gehen am entscheidenden Punkt vorbei; dabei geht es doch vor allem darum, sich Gedanken über die rechtlichen Prinzipien zu machen, die zu seiner Festnahme geführt haben. Diese Prinzipien erweisen sich als verabscheuenswürdig, nicht weil sie gegen den ehemaligen chilenischen Diktator angewandt wurden – sie wären dies genauso im Fall Fidel Castros, Ariel Sharons oder Pol Pots –, sondern weil sie eine ebenso gefährliche wie anfechtbare Entwicklung des Rechts enthüllen.

Im speziellen Fall Pinochets zwingt sich die Feststellung auf, daß die britische Entscheidung das fragile Gebilde der Volkssouveränität in Frage stellt, die die Basis der Demokratie ist und bleibt. Nach seiner Rückkehr zu einer demokratischen Staatsform hat Chile den Weg der Versöhnung eingeschlagen, statt die Wunden des Bürgerkriegs wieder aufzureißen. Genauer gesagt, Chile hat sich gegen jegliche Verfolgung General Pinochets ausgesprochen. Folglich kann nichts den Grundsatz entkräften, nach dem ein souveräner Staat kein Recht hat, das souveräne Handeln eines anderen Staates zu verhindern.

Wenn das demokratische Chile von 1998 Pinochet nicht belangen will, ist das seine Sache und sein Recht, und dieser Position läßt sich nichts entgegenstellen. Aber genau das will man nicht zulassen, und genau darin liegt das Neuartige dieses Falles: ein Diktator, dessen eigenes Volk es für unnötig erachtet, ihn zu verurteilen, der aber von ausländischen Richtern in Haft gesetzt wird, die im eigenen Namen und in flagranter Mißachtung der Gründungsakte des neuen chilenischen Staats handeln. In diesem Sinne, wie Jean Daniel schreibt, "könnte die Verhaftung Pinochets mit gutem Recht als Angriff auf die Souveränität der chilenischen Nation betrachtet werden, zumal Chile inzwischen wieder eine Demokratie ist." Er fügt hinzu: "Die Verhaftung General Pinochets bedeutet nicht eine Verdammung der Diktatur, die im Namen demokratischer Gerechtigkeit geschah. Diese Verhaftung richtet sich gegen eine souveräne Entscheidung einer demokratischen Nation und steht für zwei neue Konzepte: die Universalität des Rechts und die Unverjährbarkeit des Verbrechens" (Le Nouvel Observateur, 5.11.98).

Die Affäre Pinochet erhellt damit einen neuen Aspekt der Globalisierung: die Globalisierung des Rechts. Die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs im letzten Juli ist die aktuellste Auswirkung einer Entwicklung, die eine radikale Veränderung der Vorstellung von internationalem Recht selbst nach sich zieht. Letzteres ergibt sich traditionell aus Übereinkünften zwischen souveränen Staaten. Solange diese Staaten ihm zustimmen, kann es ihrer Souveränität sogar bestimmte Grenzen setzen.

Hier geht es jedoch um etwas völlig anderes. Wir befinden uns in der Gegenwart eines völlig neuen "universellen" Rechts, das sich ausschließlich auf die Ideologie der Menschenrechte beruft und sich über alle Gesellschaften stellen will; über Staaten, Grenzen, Kulturen, öffentliche Meinungen und Mehrheitsentscheidungen, letztendlich also über die Demokratie. Diesem neuen Recht zufolge unterliegen "Verbrechen gegen die Menschheit" der allgemeinen Befugnis, das heißt jedes Tribunal unseres Planeten kann sich ihrer annehmen. Bedenkt man die Verschwommenheit des Begriffs "Delikt", so wird dadurch den mißbräuchlichsten Verfahren Tor und Tür geöffnet. Heute Pinochet; warum nicht morgen Jaruzelski, Ben Ali, Clinton oder Netanjahu? An Gründen würde es schließlich nicht mangeln.

Die Ungenauigkeit des Menschenrechtsgedanken leistet der natürlichen Neigung der Richter Vorschub, ihn ihrem eigenen Wertesystem gemäß auszulegen, so daß sich dieses Recht letztendlich nur durch die subjektive Meinung der Magistraten legitimiert. Dany Cohen, Professor an der Universität Paris-XII und kein Freund Pinochets, erklärte dieser Tage: "Wenn jedes Gericht willkürlich verfolgen kann, bewegen wir uns auf eine Cowboy-Justiz zu."

"In einer Demokratie", warnt Thierry de Montbrial, "kann Gerechtigkeit nur in einem strikten und legitimen institutionellen Rahmen Ausdruck finden. Daher bleibt der territoriale Rahmen der Legitimität weiterhin trotz der rapiden Globalisierung weitgehend der des Staates." Es ist Sache der Völker, die unter ihnen zu leiden hatten, ihre abgesetzten Diktatoren vor Gericht zu bringen, wenn sie dies wünschen. Die "internationale Gemeinschaft" hat dazu kein Recht, eben weil sie weder politischer Akteur noch Rechtssubjekt ist.


 
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