© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Vergessene Schriftsteller (VIII): Reinhold Schneider
Spannung zwischen Macht und Geist
Werner Olles

Der Weg vom tragischen Nihilismus zum Glauben, von der Bindungslosigkeit zu Bindungen, von der subjektiven Verlorenheit in das Geschichtliche, dies allein soll zur Darstellung kommen." So sah Reinhold Schneider, dessen Werk mehr als 120 Buchveröffentlichungen umfaßt, seine Aufgabe als Schriftsteller. Literarischen Kategorien sind seine Bücher nur schwer zuzuordnen, am ehesten ließe sich noch sagen, daß Schneiders kulturphilosophisches wie literarisches Werk vom katholischen Glauben geprägt ist.

Die tragische Auseinandersetzung zwischen Glauben und Unglauben, Gewissen und Macht, Staat und Kirche, der innere Kampf in der Seele der Täter um die echte Verwirklichung der Nachfolge Christi, dessen Botschaft das Gewissen niemals ruhen läßt, waren die großen Themen seiner Erzählungen, Dramen und Abhandlungen. Ein legitimistisch-katholisches, von Schwermut überschattetes Traditionsbewußtsein verband sich bei ihm mit einem unbestechlichen Blick für die geistig-politische Problematik seiner Zeit.

Reinhold Schneider wurde am 13. Mai 1903 in Baden-Baden geboren, wo die Eltern ein Hotel dicht am Kurhaus besaßen. Nachdem die Inflation das elterliche Vermögen verschlungen hatte, machte er nach dem Abitur und einem abgebrochenen landwirtschaftlichen Praktikum zunächst eine kaufmännische Ausbildung durch. Diese Jahre waren für ihn reich an äußeren Nöten und inneren Krisen, die ihn im Alter von neunzehn Jahren zu einem mißlungenen Selbstmordversuch trieben. Bis 1928 arbeitete er als Übersetzer in Dresden. Bereits in den ersten Büchern seines rasch wachsenden Werkes: "Das Leiden des Camoes, Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht" (1930), "Philip der II., Religion und Macht" (1931) und "Portugal, ein Reisetagebuch" (1931) klangen die Hauptthemen von Schneiders Lebenswerk an, die Spannung zwischen Macht und Gnade, Macht und Geist, die Frage nach dem Wesen der Macht. Man hat diese Werke auch gerne als "christlich" bezeichnet, was jedoch nur teilweise richtig war. Der Schriftsteller selbst sagte mit Blick auf sein Buch "Die Hohenzollern" (1933): "Es war kein christliches Buch und wollte das nicht sein; ich war kein Christ, sondern ich sah im Tragischen den Sinn der Geschichte."

Mit "Fichte. Der Weg zur Nation" (1932) näherte sich Schneider dem völkischen Reichsmythos an. Aber schon in "Auf Wegen deutscher Geschichte" (1934) und "Inselreich" (1936) zeigte sich deutlich die Unvereinbarkeit seines Konservatismus mit der völkischen Ideologie des nationalsozialistischen Staates. Diese Werke waren persönliche Deutungen abendländischer Geistes- und Lebensformen und zeigten Auftrag und Tragik des Königtums und einen "gegen die Vergötzung des Blutes" gerichteten "Aufruf zur Monarchie".

1938 erschien "Las Casas vor Karl dem V." Das Buch wurde mit Recht als ein Beitrag zum geistigen Widerstand empfunden, weil es schilderte, wie der Mißbrauch der Macht in Schuld und Verstrickung führt. Die Tötung der Menschen und die Jagd nach Gold, dies war nicht anders zu verstehen denn als Parallele zur Verfolgung der Juden. Schneiders Ablehnung des Nationalsozialismus und sein Bekenntnis zur abendländisch-christlichen Kultur zogen ihm schon bald den Zorn der Machthaber des Dritten Reiches zu. Sonette und kleine religiöse Schriften wurden illegal verbreitet, schließlich erhob man Anklage wegen Hochverrats. Nur das Kriegsende verhinderte eine Verurteilung.

In einer Fülle von Erzählungen und Dramen rief er in den folgenden Jahren Gestalten der Geschichte herauf, aus denen die "Notwendigkeit unlösbarer Konflikte in der Seele wie in der Geschichte" immer neu dem Leser entgegentrat. Gewisse Grundmotive kehrten stets wieder, Bilder des Untergangs, des Verfalls Einzelner oder ganzer Völker, die Notwendigkeit des Opfers, des Verzichtes und des Dienstes.

1950 erschien "Der große Verzicht", die tragische Geschichte des Petrus von Morrhone, des Retters des Abendlandes, der jedoch auf sein Amt als Papst verzichtet. "Der Traum des Eroberers" und "Zar Alexander" (beide 1951) zeigten das Verhängnis westlichen Eroberungswillens und das aus östlicher Frömmigkeit geborene Verlangen nach Reinigung und Erlösung.

Einblick in sein persönliches Schicksal gewährten "Verhüllter Tag" (1956), "Der Balkon" (1957) und "Winter in Wien" (1958). In diesen Büchern brach die tiefe Schwermut durch, die Schneiders ganzes Schaffen durchzog, das Licht eines alles überwindenden Humors. Mit "Winter in Wien" bewies er, daß die lebenslange Verbrüderung mit dem Leid und dem Leiden der Untergehenden und Verzichtenden ein Grundzug seiner Natur war, der nur überwunden und versöhnt wurde durch den Glauben. Diese geistige Haltung Schneiders war gekennzeichnet durch die Konfrontation alles Geschaffenen mit der Botschaft Christi.

Schneiders Lebenswerk ist jedoch von seiner Person zu trennen, es muß als mittelbares Bekenntnis betrachtet werden. Hieraus resultierte auch sein Mitte Februar 1951 von der Ost-Berliner Zeitschrift Aufbau veröffentlichter Appell, daß "ein geteiltes Volk, das in der Gefahr des Bruderkrieges ist, dessen Land zum Schlachtfeld der Welt werden kann", sich nicht bewaffnen dürfe. Man hat ihn daraufhin, auch von offizieller Seite, als Kommunisten, sogar als geistig umnachtet verleumdet. Hinzu kam, daß er unter dem Druck einer langwierigen Krankheit und der Auseinandersetzung mit der modernen Naturwissenschaft immer schärfer seinen Widerspruch gegen die "Leere" der Zeit des Wirtschaftswunders formulierte und seine unversöhnte "Verzweiflung an Kosmos und Geschichte" zum Ausdruck brachte.

Eine gesellschaftliche Rehabilitierung erfuhr Schneider 1952 durch die Verleihung des Ordens "Pour le mérite" und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahre 1956. Daß der exemplarische Konflikt zwischen Geist und Macht in der frühen Bundesrepublik gerade einen Schriftsteller wie Reinold Schneider traf, der während der nationalsozialistischen Herrschaft zu den Mutigsten und Integersten gehörte, konnte er, der seit jeher die "Schwermut" als sein "existentielles Erbe" bezeichnet hatte, nicht anders begreifen als im Zusammenhang mit dem Geschichtlichen. Hatten ihm seine Kindheits- und Jugendjahre "den letzten Blick auf eine Welt und Gesellschaft, die 1914 zu versinken begann", gewährt, und ihn durch den "Verfall der bürgerlichen Ordnung" nach dem Ersten Weltkrieg, von dem auch sein Elternhaus betroffen war, "zum totalen Pessimismus geführt", fühlte er auch in der Bundesrepublik keinen wirklichen tragenden Grund. In Freiburg im Breisgau starb Reinhold Schneider am 6. April 1958 nach einer langjährigen schweren Krankheit an den Folgen eines Sturzes.


 
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