© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Ballett: "La Bayadere" im Nico House in Kapstadt
Ein Traum in Weiß
Julia Poser

Im Ballett "La Bayadere" von Ludwig Minkus steht ein siegreicher Heerführer zwischen zwei Frauen. Der Schauplatz ist nicht das alte Ägypten, sondern das geheimnisvolle Indien, dessen Exotik die Europäer des letzten Jahrhunderts besonders faszinierte. Marius Petipa, der berühmteste Choreograph vieler klassischer Ballette ("Schwanensee", "Nußnknacher", "Dornröschen"), schuf 1877 nach einem Sanskrit-Drama aus dem 4. Jahrhundert das Ballett "La Bayadere" ("Die Tempeltänzerin") für das Maryinsky Theater in St. Petersburg.

Darin verliebt sich Solor, ein junger Krieger, in Nikiya, eine Tempeltänzerin, die seine Liebe erwidert. In Anerkennung seiner Siege will der Rajah den mutigen Krieger Solor mit seiner Tochter Gamzatti vermählen. Nikiya ist darüber verzweifelt und versucht vergeblich, die Rivalin zu erdolchen. Heimtückisch versteckt Gamzatti in einem Blumenkorb eine Kobra, an deren Biß Nikiya stirbt. Solor flüchtet in Opiumträume und glaubt sich mit Nikiya wieder vereint. Im Brahma-Tempel soll die Hochzeit Solors mit Gamzatti stattfinden, doch der Zorn der Götter läßt die Mauern einstürzen, und alle werden erschlagen. Die unsterblichen Geister von Solor und der Bayadere bleiben in ewiger Liebe verbunden.

Dieses große, vieraktige Ballett wurde in einer Gemeinschaftsproduktion des Staatstheater-Balletts Pretoria und des Kapstädter Balletts erst in Johannesburg und dann im Nico Opernhaus in Kapstadt aufgeführt. Dawn Weller, die künstlerische Leiterin des Staatstheaters, ergänzte verlorengegangene Teile der Choreographie Petipas und schuf so ein hinreißend schönes Ballett. Die Hintergrundprospekte von Peter Cazalet gaukeltem dem Zuschauer die verschwenderische Pracht indischer Paläste und Tempel der Mogulzeit vor.

Francis Rainey, der lange Zeit in Stuttgart als Dirigent gearbeitet hat, dirigierte nicht nur Ludwig Minkus’ Partitur mit hingebungsvollem Elan, sondern komponierte feinsinnig auch einige fehlende Pas de deux für den Höhepunkt des Balletts, "Das Königreich der Schatten", in dem sich Solor im Opiumrausch mit Mikiya vereint fühlt.

Zu Beginn dieses Aktes bewegen sich 24 Ballerinen über eine doppelte Rampe in graziösen Arabesken in völligem Gleichmaß auf die Bühne: Ein Traum in Weiß! Es wurde hervorragend getanzt. Tanja Li, Star des Kapstädter Balletts, brillierte als Bayadere in ätherisch traumverlorenen Pas de deux mit dem kraftvoll-männlichen Kimbrian Bergh als Solor.

Eleganz und Temperament gepaart mit glänzender Technik zeigte Angela Malan als Gamzatti. Hoheitsvoll gab sich Keith Mackintosh als Rajah.

Die übrigen Solisten und das Große Corps de Ballet bewiesen als Fakire, Priester, Sklaven und Bayaderen den beispielhaft hohen Standard der beiden südafrikanischen Compagnien.


 
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