© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Tourismus: Das Naturschutzgebiet Externsteine soll weiter erschlossen werden
Ein Heiligtum wird entheiligt
Hanno Borchert

Wer aber weiß, was die Musik der Berge ist, wer sie tönen und hören kann, wer den Rhythmus einer Landschaft spürt (…) nein, wer gar nichts andres spürt, als daß er zu Hause ist; daß das da sein Land ist, sein Berg, sein See, auch wenn er nicht einen Fuß des Bodens besitzt, (…) es gibt ein Gefühl jenseits aller Politik, und aus diesem Gefühl heraus lieben wir dieses Land", schrieb Kurt Tucholsky in der Weltbühne.

Ähnliche Gefühle mögen die Menschen der Anti-Atom-Bürgerinitiativen aus Gorleben, die Demonstranten in Wackersdorf oder die Gegner der Startbahn-West in Frankfurt am Main dazu bewogen haben, Heimat und Identität verteidigen zu wollen. Gegen die Entfremdung, gegen die mehr als symbolische Vertreibung aus der Heimat. Auch etliche Bürger aus der Region Lippe haben wohl ähnliche Gedanken gehabt, als sie im Oktober 1999 die "Schutzgemeinschaft Externsteine" aus der Taufe hoben, nachdem durchsickerte, daß ihre unmittelbare Heimat, die sagenumwobenen Externsteine, einzigartiges Kultur- und Naturdenkmal in der geschichtsträchtigen Bioregion des Teutoburger Waldes, Gefahr laufe, zu wirtschaftlichen Zwecken ausgebeutet zu werden.

In einer Informationsschrift heißt es zu den Beweggründen: Die Schutzgemeinschaft hat den Zweck, "die unberührte Erhaltung, den Schutz und die Pflege der Externsteine und des umliegenden Naturschutzgebietes als Ensemble von europäischer Bedeutung unmittelbar und mittelbar zu fördern. Sie will fundierte Konzepte anbieten, um den Besuch der Externsteine zu einem kulturellen Erlebnis in reizvoller, intakter Natur zu machen. Dabei hat der Schutz der Natur und die kulturelle Bedeutung und Würde des Ortes jedoch Vorrang."

Ein Wunder der Natur mit sakralem Charakter

Die Externsteine, heiliger Ort sowohl in vorchristlicher als auch in christlicher Zeit, Stätte eines romanischen Großreliefs der Kreuzabnahme und bedeutendstes steinernes Monument nördlich der Alpen, wo auch heute noch regelmäßig Gottesdienste beider Konfessionen ebenso stattfinden wie heidnische Feste, sind seit 1926 als Naturdenkmal geschützt und gehören mit der Umgebung zu den wenigen Gebieten, die Nordrhein-Westfalen für den besonderen Schutz nach den Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien der EU benannt hat. Die Externsteine gehören zu einem Naturschutzgebiet mit einer Gesamtfläche von 142 Hektar, das ein Sondervermögen des Landesverbandes Lippe darstellt und satzungsgemäß "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienen und insbesondere durch Denkmal- und Heimatpflege" erhalten werden soll.

Obwohl sich jedes Jahr Hunderttausende von Besuchern von der beeindruckenden Atmosphäre der Externsteine einfangen lassen, hat dieses Wunder der Natur bis heute seinen geradezu sakralen Charakter bewahren können. Das könnte demnächst anders werden, denn die Cherusker-Theater-Betriebs-GmbH hat für das Gelände ehrgeizige Pläne: die "Arminius-Festspiele".

Vorbild ist ein kommerzielles Spektakel auf Rügen, die "Störtebeker-Festspiele", eine für unsere Zeit typische Mixtur aus Action, profaner Unterhaltung, Wahrheit und Legende, das der Insel jährlich 100 Millionen Mark Kaufkraftzuwachs beschert. Nach einer Emnid-Studie beträgt der Anteil an Festspielbesuchern, die extra dafür die Insel besuchen, 58 Prozent.

Hermann der Cherusker als Festspielstoff soll schon im kommenden Jahr den Tourismus im Kreis Lippe auf Touren bringen. Dafür soll das berühmte Kultur- und Naturdenkmal zum Kulissenbild hinter einer noch zu erstellenden Bühne für wenigstens 5.000 bis 6.000 Zuschauer werden. Für das geplante pseudo-historische Spektakel wird mit den üblichen Versprechungen geworben: Ausbau der Infrastruktur, Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze, Prestigegewinn für Stadt und Land et cetera. Das Konzept sieht rund 70 Aufführungen pro Spielzeit – von Ende Juni bis Anfang September – vor. Im kommenden Jahr soll es nach den Plänen der Gesellschaft losgehen.

Von offizieller Seite wird schon Zustimmung signalisiert. Als zu verlockend scheinen sich wieder einmal die Argumente derer zu erweisen, die sich einen gehörigen Reibach versprechen. Wer denkt da noch an Natur- und Heimatschutz, an regionale und nationale Identität, wenn es ums Geld geht?

Veranstalter versprechen "germanische Toiletten"

Und da sich nicht nur die Investoren viel Geld versprechen, sondern auch dem Landesverband Lippe satte Gewinnausschüttungen winken, ist man wohl dazu bereit, die Externsteine zur Kulisse für Massenverdummung freizugeben: "Die Bedeutung für den Tourismus in Lippe kann nicht hoch genug eingeschätzt werden", so etwa Gerhard Richter, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Lippe. Ähnlich sieht das Jürgen Gedamke, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes. "Wir wollen Lippe auf dem deutschen Tourismusmarkt plazieren. Dazu brauchen wir ein solches Nischenprodukt." Und Oberkreisdirektor Helmuth Kauther ergänzt: "Vor dem Hintergrund, mehr Tourismus nach Lippe holen zu wollen, können wir es brauchen. Natürlich müssen die Voraussetzungen stimmen." Und wenn diese nicht stimmen, werden sie passend gemacht. Da ist dann von "mobilen" Bühnenbauten und Containern die Rede, um die bestehenden Naturschutzbestimmungen möglicherweise umgehen zu können. Einer der Gesellschafter verdeutlicht eindrucksvoll, auf welchem Niveau sich die Arminius-Festspiele bewegen: "Es wird bei uns gesittet und gut organisiert zugehen." Dafür stünden dann auch "germanisch verkleidete Toilettenhäuschen" zur Verfügung.

Angesichts solcher Pläne ist sich der "Naturwissenschaftliche Verein für das Land Lippe" mit der Schutzgemeinschaft in seiner Ablehnung einig: "Wir wenden uns mit Entschiedenheit gegen die geplanten schwerwiegenden Eingriffe in das Naturschutzgebiet Externsteine."

Kein Zweifel, der Konflikt zwischen der Schutzgemeinschaft und der Cherusker-Theater-Betriebs-GmbH ist die Neuauflage eines alten, erbitterten Kampfes: Auf der einen Seite stehen die Wächter der Natur. Sie sehen sich mit den ganz und gar anders gearteten Finanzinteressen kleiner und größerer Abzocker sowohl privater als auch staatlicher Herkunft konfrontiert und wollen nicht zulassen, daß der seit Jahrtausenden heilige Platz dem Götzenbild des alle Völker und Kulturen nivellierenden Kapitalismus geweiht wird.

 

Nähere Informationen: Schutzgemeinschaft Externsteine, Schmales Feld 19, 32805 Horn-Bad Meinberg


 
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