© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Blüms Erbe
Karl Heinzen

Die Regierung Kohl war nicht käuflich, sonst könnte man viel mehr Nutznießer ihrer Politik identifizieren. Selbst in den Details schien die gesamte Regierungsarbeit eher auf Wirkungslosigkeit denn auf Begünstigung von irgend jemandem angelegt. Wenn es überhaupt eine Vision gab, dann war es die, einer eigentlich zu jedem Zeitpunkt absehbaren Nachfolgeregierung möglichst viel Ballast aufzubürden.

Beispiel Arbeitsmarkt: Der Erlaß von Norbert Blüm, daß Asylbewerber, die nach dem 15. Mai 1997 zu uns gekommen sind, grundsätzlich keine Arbeitserlaubnis erhalten, war zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens eigentlich redundant: Schon die Bestimmungen des Sozialgesetzbuches ließen es nicht zu, daß Asylbewerber in Lohn und Brot kamen, wenn dieselbe Stelle von einem Deutschen oder einem EU-Ausländer besetzt werden konnte. In Zeiten mit der Rekordarbeitslosigkeit der Marke Kohl war jedoch eben davon grundsätzlich auszugehen. Warum dann aber dieser Nürnberger Erlaß?

Erklärlich wird er nur vor dem Hintergrund, daß vermutlich schon damals unübersehbar gewesen sein muß, daß die Privilegierung der "geringfügigen" Beschäftigungsverhältnisse in unserem Steuer- und Abgabensystem nicht auf Dauer zu halten sein würde, da sich ansonsten irgendwann der Zorn all der vielen entladen konnte, die gezwungen sind, mehr als nur wenig zu arbeiten und die dafür nicht auch noch vom Staat verhöhnt werden wollen. Bekanntlich hat sogar die Regierung Kohl hier einen Versuch zu mehr Gerechtigkeit gewagt, der aber wie gewohnt schon im Ansatz stecken blieb. Erst die Regierung Schröder konnte die Lösung des Problems in ihrer Erfolgsbilanz einstellen. Eine Reform, die unterdessen gegriffen hat: Viele, die früher eine schnelle Mark machten, verstopfen nicht länger den Arbeitsmarkt. Sie haben jene Plätze geräumt, die nun durch wirklich Bedürftige besetzt werden könnten – wenn dem nicht immer noch der Blüm-Erlaß entgegenstünde.

Das Reformwerk bleibt somit unvollständig, wenn dieser nicht schleunigst aufgehoben wird. Alle Beteiligten würden davon profitieren: Die Asylbewerber hätten die Chance, aus der Schattenwirtschaft heraus- und in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis einzutreten – und wäre dieses auch noch so bescheiden. Die Arbeitgeber könnten nun endlich auch in jenem Heer von Arbeitssuchenden rekrutieren, in dem sie die geringsten Ansprüche an Qualität und Entlohnung der Beschäftigung erhoffen dürfen. Und die Sozialversicherungen könnten sich freuen, durch die Begrüßung neuer Beitragszahler zu deren Integration in unsere Solidargemeinschaft beizutragen. Vor allem aber hätte überraschenderweise ein authentisch sozial-demokratischer Programm Eingang in Regierungshandeln gefunden: Die Arbeit muß gerechter verteilt werden. Das darf niemanden, der schon bei uns lebt oder in Zukunft bei uns leben will, ausgrenzen.


 
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