© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Dreistigkeit
von Mina Buts

Die politische Führungselite des Landes Nordrhein-Westfalen ließ sich per Privatjet der WestLB zu den schönsten Plätzen Europas bringen: Nach Kroatien, wo Minister Schleußers Ferienboot liegt, nach Sylt, wo Ex-Landesvater Rau gerne urlaubte, oder nach Innsbruck, wo die Führungsriege des Landes unerläßliche Dienstbesprechungen abhielt. Schaden, so stellte die Staatskanzlei fest, sei allerdings dadurch keiner entstanden, da zum einen die WestLB zu einem großen Teil dem Land gehöre, zum anderen der Steuerzahler die irgendwie dienstlich veranlaßten Flüge ohnehin hätte bezahlen müssen – mit dem kleinen Unterschied, daß ein Linienflug einen Bruchteil gekostet hätte.

Zur gleichen Zeit stellt sich heraus, daß die ehemalige Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, Agnes Hürland-Büning, etwa acht Millionen Mark an Beraterhonoraren erhielt, von denen ein Teil, der von Thyssen-Rheinstahl gezahlte, an das Raffinerie-Projekt Leuna "gekoppelt" war, für das Thyssen dann überraschenderweise den Zuschlag erhielt. Schließlich gibt ausgerechnet der Kanzler der Deutschen Einheit zu, gegen Recht und Gesetz verstoßen zu haben, indem er private Spenden in Millionenhöhe einwarb, um sie dann auf dunklen Kanälen seiner Partei oder wem auch immer zukommen zu lassen.

Die neuesten Enthüllungen über Gesetzesverstöße und private Vorteilnahmen unserer politischen Klasse erstaunen die Wähler zwar in ihrem Ausmaß und ihrer Dreistigkeit, sie empören sie aber nicht wirklich. Niemand hätte es ausgerechnet unseren Politikern zugetraut, Hüter von Recht und Moral zu sein. Folgerichtig schlagen sich die Enthüllungen der vergangenen Wochen auch nicht im Politbarometer nieder: Die Zuneigung (oder Ablehnung) für die beiden großen Volksparteien bleibt konstant. Welchen Grund sollte man auch haben, sich ausgerechnet jetzt der jeweils anderen Massenpartei zuzuwenden?

Die von den Medien momentan geschürte Aufregung über Kohl und seinesgleichen ist künstlich. Jeden Tag könnte man einen anderen Politiker demontieren: Jenen, der seinen Einfluß in der Politik für sein Pöstchen in der freien Wirtschaft nutzt; jenen, der jeden Abend von Berlin in seine Heimatstadt fliegt – dienstlich natürlich, weil er sich ekelt, in fremden Betten zu schlafen; jenen, der durch solche Flüge angesammelte Freiflugscheine Freunden und Familienmitgliedern schenkt; jenen, der sein nicht ausgeschöpftes Mitarbeiterkontingent an sich selbst auszahlen läßt. Fairerweise müßten alle diese Vorteilnahmen direkt an die Wähler ausgezahlt werden. Denn nur ihnen ist es zu verdanken, daß das System der Vorteilnahme so funktionieren kann.


 
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