© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Carl Amery: Hitler als Vorläufer
Selektion droht überall
Volker Kempf

Jeden Menschen, sogar jedes Ding so zu behandeln, als wäre es ein Selbstzweck, ergäbe eine kosmische Ethik. Unter den großen Weltreligionen käme der Buddhismus einer solchen Ethik am nächsten. Aber auch in unseren Breiten ist der Samen der philosophischen Einsicht unlängst durch Schopenhauer und Nietzsche gelegt worden, daß der Mensch die Krone der Schöpfung nur sein kann, wenn er einsieht, daß er sie nicht ist. Carl Amery schließt seinen neuesten Essayband "Hitler als Vorläufer. Auschwitz – der Beginn des 21. Jahrhunderts?" mit eben dieser Einsicht. Ob damit einzig der Barbarei Einhalt geboten werden soll, oder ob auf einer solchen Grundlage gar das Überleben der Menschheit gesichert werden könnte, bleibt am Ende des Buches offen.

Und Hitler? Was hat Hitler damit zu tun? Er war es, der nicht nur den Menschen, sondern unter den Menschen die arische Rasse zur Krone der Schöpfung erklärt hat. Die Arier als Herrscherrasse. War aber das Überleben der Menschheit der Grund, daß Hitler seine Stimme für die Arier erhob? Sollten die Arier das Überleben der Menschheit sichern? Es reicht nicht für alle, aber für eine willkürlich auserwählte Krone der Schöpfung. Dies sei die Position Hitlers gewesen, während die Realsozialisten der Utopie nachliefen, es würde für alle reichen. Amery sieht unter der ökologischen bzw. "biosphärischen" Dimension die Knappheitstheorie als die aktuellere an. Deshalb könnte sich Hitler als Vorläufer für das 21. Jahrhundert erweisen.

Die Judenvernichtung stand in Hitlers Programm, so Amery, für das Überleben der Menschheit in Gestalt der arische Rasse. Die Juden seien für Hitler der Inbegriff der humanen Botschaft gewesen, die der Erfüllung der göttlichen Naturgesetze im Wege stehen würde. Das Naturgesetz, das Hitler im Auge gehabt habe, sei das Ausleseprinzip gewesen, das eine Art stark und lebensfähig halte. Der Humanismus aber schwäche mit seiner Ethik das Ausleseprinzip und damit die angeblich starke Rasse.

Wenn die Ressourcen, Wasser und Erde, knapp werden, bricht früher oder später Chaos aus. Das ist schlimm genug und muß keineswegs die Wiederkehr des Hitlerismus bedeuten. Aber es ist schon etwas dran, daß dort, wo die Welt nur als ausbeutbare Mine für die Zwecke nur einer Spezies angesehen wird, gleiches auf eine x-beliebige menschliche Rasse oder anderweitig definierte menschliche Gruppe eingeengt werden kann. Der Weg dorthin ist jedenfalls nicht sehr weit. Was bleibt also zu tun? Nach Amerys Einschätzung "durch Wissen und Demut geläutert Solidarität mit der Biosphäre, der Lebenswelt" zu üben. Ein hoher moralicher Anspruch, der kaum einzulösen sein dürfte, da die Weltbevölkerung längst zu groß ist, um ohne Plünderung und Zerstörung auszukommen.

Carl Amery: Hitler als Vorläufer. Auschwitz – der Beginn des 21. Jahrhunderts?, Luchterhand Verlag, München, Leipzig 1998, 1991 Seiten, 29,80 Mark


 
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