© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Helmut Schmidt
Der mit der Mütze
von Kai Guleikoff

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland spielte sich am Morgen des 17. Februar 1962 ein bisher einmaliger Vorgang ab: der Innensenator der Freien und Hansestadt Hamburg unterstellt sich die gesamte Verwaltung, alle Rettungsdienste, den Bundesgrenzschutz und Einheiten der Bundeswehr. Als Hamburgs Erster Bürgermeister Paul Nevermann seinen Kuraufenthalt in Bad Hofgastein abbrach und dem Innensenator entgegentrat, soll dieser gesagt haben: "Paul, halt den Mund, siehst du nicht, daß ich dringende Anweisungen zu diktieren habe!"

Der Innensenator hieß Helmut Schmidt, und der Anlaß zu den außerordentlichen Maßnahmen war die "Jahrhundertflut", die den Deich vor Wilhelmsburg im Süden Hamburgs brechen ließ. Schmidts entschlossenes Handeln sorgte für frühe Evakuierungen und eine Begrenzung der Schäden. Der damals 43jährige war das Befehlen gewohnt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war er Batteriechef der Flak an der Westfront. Die roten Spiegel dieser Waffengattung der Wehrmacht trug er als Rekrut im Flakregiment 28, als Tapferkeitsoffizier an der Ostfront und als Referent für Ausbildung im Oberkommando der Luftwaffe in Berlin.

Der einen Tag vor Heiligabend des Jahres 1918 geborene Sohn eines Studienrates scheint für die Karriere geboren zu sein: Mit 26 Jahren übersteht er den Krieg äußerlich unbeschadet. Mit 30 Jahren diplomierter Volkswirt, sitzt er vier Jahre später für die SPD im Bundestag. Sein Großvater war ein Hafenarbeiter aus dem "Roten Barmbeck" und hatte die sozialdemokratische Familientradition begründet. Helmut Schmidt fand in seinem Soldatsein ihre eine Fortführung und sah in der Kriegskameradschaft eine Parallele zum sozialistischen Prinzip der Solidarität. Obwohl er in der Führungsetage seiner Partei damit "aneckte", war diese Einstellung nach den beiden Weltkriegen in Deutschland weit verbreitet.

Im Parlament fiel Schmidt als robuster Debattierer auf, der unter äußerster Belastung zur Bestform auflaufen konnte. Im Frühjahr 1967 übernahm er den Fraktionsvorsitz im Bundestag, mit 50 Jahren das Bundesverteidigungsministerium, obwohl er sich selber dafür "fünf Jahre zu alt" fühlte. Als Parteisoldat war ihm der Wunsch Willy Brandts Befehl. Am 6. Mai 1974 trat Brandt wegen der Guillaume-Affäre als Bundeskanzler zurück; zehn Tage später wurde Schmidt zehn sein Nachfolger als bis dahin jüngster Bundeskanzler der Bonner Republik. Nach seinem Sturz im Oktober 1982 zog Schmidt sich zunächst aufs politische Altenteil zurück; ein Jahr später wird er überraschend Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Fortan erteilte er seiner Partei via Leitartikel gelegentlich Ratschläge, hielt sich aber ansonsten von ihr fern. Erst in diesem Jahr erlebte Schmidt durch Gerhard Schröder, seinen Schüler im Geiste, eine späte Renaissance in der SPD.


 
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