© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Weihnachten: Das Beste steht bevor
Ein Neuanfang
Helmut Matthies

Freuen Sie sich auch nicht auf Weihnachten? Ich jedenfalls kann es nicht ertragen, ab Oktober Heerscharen von Weihnachtsmännern zu sehen, möchte ich doch noch gar nicht an den Winter denken. Das ewige Gebimmele "Kling, Glöckchen, klingelingeling", das ständige Gedröhne "O du fröhliche" nervt mich in den Kaufhäusern, bin ich doch gar nicht so fröhlich.

Weihnachten bedeutet nämlich zunächst und vor allem einmal: wochenlanger Superstreß. Was in elf Monaten nicht zu schaffen war, soll nun in drei Wochen – bis zum Fest – fertig werden. Mitmenschen erwarten einen Gruß zum Fest, die sich sonst das ganze Jahr nicht für einen interessieren. Aber wehe, sie werden vergessen!

Und natürlich die Geschenke. Socken, Krawatten, Taschentücher, Uhren, Rasierwasser – nach Jahren reicht der Vorrat gleich für mehrere Haushalte. Obwohl es vielen ähnlich geht, wird noch am Mittag des Heiligabends ein Millionenumsatz damit gemacht.

Streß, Streß, Streß – bis man dann ganz "geschafft" im Festgottesdienst sitzt und einem gar nicht festlich zumute ist. Aber das habe ich wenigstens gemeinsam mit den Hauptpersonen der Weihnachtsgeschichte. Das heißt: Ihnen ging es tatsächlich schlimm! Da sind Maria und Josef unterwegs, um sich einer Volkszählung und Steuereinschätzung zu stellen, weil es der Staat so will. Angekommen in Bethlehem nahe Jerusalem, finden sie nicht einmal ein ordentliches Quartier. Alles ist voll. Sie werden abgewiesen. Sie müssen mitten im Winter in einem dreckigen Stall übernachten. Statt einer Matratze gibt es Stroh.

Und dann ist Maria auch noch hochschwanger, bekommt mitten in diesem "Loch" ein Kind – keine Eltern und Verwandten in der Nähe, geschweige denn eine Hebamme oder ein Arzt, eine Milchflasche, Desinfektionsmittel, eine gekachelte, hochhygienische Umgebung. Nur pieksendes Stroh. In eine Futterkrippe für Esel wird das Kind gelegt. Alles ist eiskalt, schlicht erbärmlich. Und zu allem Überfluß ist die Stimmung zwischen den Eltern vermutlich auch noch schlecht gewesen. Denn Maria wurde schwanger, ohne daß sie verheiratet waren, was damals eine Katastrophe bedeutete. Maria soll das Kind als Jungfrau bekommen haben. Doch wer wollte das Josef schon glauben?

Ja – Gott kommt äußerst ungemütlich zur Welt. Er kommt in die Haut des Menschen, so daß er weiß, wie uns zumute ist. Der Herr der Geschichte wird an Weihnachten eine Gestalt der Geschichte. Der Schöpfer aller Wesen wird Geschöpf. Der Mann, nach dessen Geburtsjahr wir die Jahre zählen, nach dem sich 1,7 Milliarden Menschen Christen nennen, kommt armselig in diese Welt und bleibt es.

Warum eigentlich? Warum erscheint Gott nicht im Rampenlicht der großen Öffentlichkeit, sondern auf der Schattenseite, ganz im Keller? Warum hat er gerade diesen "Landeplatz" gewählt? Warum begrüßen ihn nicht Könige und Bundespräsidenten, sondern als erste ausgerechnet Hirten, eine völlig unterprivilegierte Schicht? Damit keiner mehr sagen kann: Die Sache mit Gott ist mir zu hoch, das hat nichts mit meinem Leben, mit meinen Sorgen und Nöten zu tun. Ich kann da mit meinen Problemen, meiner Schwachheit keinen Zugang finden.

Das hat nun seit dem "Weihnachten" vor 2.000 Jahren keine Gültigkeit mehr. Gott kam nicht nur im letzten Dreck zur Welt, sondern er ist auch für den letzten Dreck in dieser Welt – wie in meinem Leben – zuständig. Und er will diesen Dreck wegräumen. Er bietet an, alle Schuld, die ich auf mich geladen habe, wegzunehmen, mich ganz frei zu machen, mir einen Neuanfang in meinem Leben zu ermöglichen, im letzten nicht mehr abhängig von der Anerkennung durch andere Menschen, von Süchten oder Problemen, sondern im Tiefsten abhängig von ihm, dem Herrn der Welt, der meinen Dreck nicht nur gekannt hat, sondern der mir helfen will, aus ihm herauszukommen. Darum lohnt sich das Leben.

Weil ich das weiß, seit ich mich entschieden habe, Christ zu sein, zwinkere ich mir mitten im Weihnachtsstreß selbst zu und sage mir: Das Beste steht bevor – an Weihnachten. Nicht nur für mich, sondern für die ganze Welt. Gottes Sohn selbst feiert an Weihnachten Geburtstag, und ich bin eingeladen. Da kommt Freude auf – mitten im Streß – nicht auf das Weihnachten der Hektik, der Socken, der Bimmelei. Sondern auf das Weihnachten, an dem Gott vor 2.000 Jahren in die Welt kam, um meine Lage nicht nur kennenzulernen, mitzuerleben, sondern vor allem, um mir zu helfen, wenn ich mich ihm nur anvertraue. Es lohnt sich!

Helmut Matthies ist Leiter des Informationsdienstes der Evangelischen Allianz (idea) und Chefredakteur der Zeitschrift "idea".


 
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