© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Kohls Köpfe
von Karl-Peter Gerigk

Gerade einmal sechs Wochen ist es her, daß die so apostrophierten "Jungen Wilden" in der CDU einen Stellvertreterposten in der Parteiführung erfolgreich für sich reklamiert haben. Seit der Wahl des niedersächsischen CDU-Landesvorsitzenden Christian Wulff zum Vizechef der Union aber herrscht Stille. Statt dessen haben sich mit Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler zwei Altvordere der Partei zu Wort gemeldet und versucht, die Meinungsführerschaft innerhalb der CDU an sich zu reißen. Daß sie mit ihren Äußerungen zur inneren Verfaßtheit der Union (Biedenkopf) bzw. zur Haltung gegenüber der PDS (Geißler) einen empfindlichen Nerv getroffen haben, zeigen die wütenden Reaktionen, die im Falle Heiner Geißlers sogar bis zur Forderung nach einem Parteiausschluß reichen.

Was Geißler wie Biedenkopf kritisieren, ist das "System Kohl", das 25 Jahre lang die Entwicklungen in der Partei bestimmt hat. Niemand will dem jüngst zum europäischen Ehrenbürger avancierten Kohl die Verdienste um die deutsche Einigung absprechen – doch die Art und Weise wie Kohl innerparteiliche Auseinandersetzungen im Keim erstickt und wie er das Regiment in der Partei geführt hat, läßt zumindest personell für die nächsten Jahre keine Perspektive erblicken. Das kleine schwarze Telefonbuch mit den Nummern aller Ortsvorsitzenden ist da nur ein Indiz für den Machtinstinkt, mit dem Kohl den innerparteilichen Diskurs über die Köpfe zu lenken wußte.

Ob Christian Wulff oder Roland Koch, der Rheinlandpfälzer Christoph Böhr oder Peter Müller, alle haben durch Opportunismus und rechtzeitiges Ducken ihren Aufstieg in Partei und Fraktion begünstigt. Sie alle scheinen Kohls Köpfe zu sein. Wer kennt hingegen noch Carl-Ludwig Wagner und Hans Otto Wilhelm, die gegen den damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel opponierten, die folgende Wahl in Rheinland-Pfalz verloren und kaltgestellt wurden. Jede Diskussion um eine Strategieänderung der Partei, die mit personellen Alternativen verbunden gewesen ist, wurde unterdrückt.

Helmut Kohl ist zwar nun weder Parteivorsitzender noch Kanzler, aber sein Schatten ist lang – und sein Einfluß in den Parteigremien als "Übervater" – oder besser Großvater einer Enkelgeneration, die schon nachgewachsen ist, kann nicht unterschätzt werden. Der Putschist Geißler, der Anfang 1989 Kohl als CDU-Chef aus dem Amt drängen wollte und dafür abgestraft wurde, spricht von einer monolithischen geführten Partei, in der Anpassen, Mundhalten und Gehorsam Mode geworden sind. Es kann nicht erwartet werden, daß die Generation, die in der Jungen Union von ihren Vorbildern das Duckmäusertum gelernt hat, jetzt auf einmal moderne Politik betreiben will.


 
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