© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
Abrechnung mit Weihnachtsmärkten I: Nirgendwo stehen einem mehr Leute im Weg
Glühwein ohne Ende
Frank Liebermann

J
edes Jahr ist es dasselbe. Sobald sich das Jahr dem Ende zuneigt, mutieren unsere Fußgängerzonen. Wo ansonsten buntgefärbte Jugendliche die arbeitende Bevölkerung mit "Haste mal ‘ne Mark, du Wichser" um ein kleines Zubrot zum Taschengeld bitten und talentierte Nachwuchsmusiker ihren Instrumenten fröhliche Lieder entlocken, tritt hektische Betriebsamkeit ein. Das bunte Völkchen räumt seinen Platz für ein paar Tage und weicht den Weihnachtsmärkten.

Liebevoll verzieren kleine Holzhütten den früheren Aufenthaltsort von Obdachlosen und anderen Opfern der spätkapitalistischen Gesellschaft. Bunte Lichterkettchen, die ansonsten nur noch in Bordellen an der deutsch-tschechischen Grenze zu finden sein dürften, sorgen für ein lustiges Leuchten, daß die Herzen der Menschen erfreuen soll. Diese bunten Zauberstädtchen müssen keinen Vergleich mit Disneyland fürchten. Selbst die Geschäfte, deren Schaufenster nicht von den Hütten verstellt sind, geben sich weihnachtlich. Überall liegen kleine Tannenzweige, Engel und anderer Kitsch. Selbst Aldi läßt es sich nicht nehmen, die entsprechende Stimmung zu verbreiten. Schon von weitem strömt einem der Duft von fettem Fleisch und einer weißen Knoblauchtunke entgegen. Es gibt Döner. Wir sind auf einem typisch deutschen Weihnachtsmarkt.

Aber auch die örtlichen Metzgereien befriedigen mit größter Laune die Freßgier des Durschnittskonsumenten. Fette Würste und Fleisch werden stundenlang in Fett gewälzt, bevor sie an den Abnehmer kommen. Das alles ist schon seit Jahren so. Nur eines ist anders. Man bekommt seinen Fraß nicht mehr auf einem Pappkarton serviert, sondern auf einer Waffel, die genauso schmeckt wie der Karton von früher.

Und was es noch alles gibt. Glühwein und Glühwein und nochmal Glühwein. Es sieht so aus, als ob ganz Deutschland seinen sonstigen Getränkekonsum reduziert und nur noch diesen billigen Fusel, der mit Zucker, billigem Schnaps und anderem Abfall gepanscht wird, konsumiert. Besonders lustig an Weihnachtsmärkten sind die hygienischen Bedingungen, unter denen die gebrauchten Tassen gereinigt werden. War es früher noch selbstverständlich, seinen Plastikbecher einfach wegzuwerfen, gibt es jetzt die schöne Tasse. Meistens in schwarz oder in dunklem rot, so daß halt der Lippenstift der Vorbesitzerin nicht zu erkennen ist. Da fast nirgendwo fließendes Wasser vorhanden ist, spülen die Verkäufer die Becher stundenlang in der selben Brühe, die von allen möglichen Seuchenherden wimmelt. Den Konsumenten ist das egal. Einmal angefixt schütten sie einen Becher nach dem anderen in die Birne.

Nüchtern sind Weihnachtsmärkte auch kaum zu ertragen. Am nächsten Stand stehen die verkrüppelten Bäume, die bald ihre letzten Tage in den Wohnzimmern der Menschen zubringen dürfen. Dazu gibt es beim nächsten Aussteller gleich die passenden Lämpchen und Kugeln, die aus dem Baum den Inbegriff des deutschen Kitsches machen. Auf Weihnachtsmärkten ist es sowieso sehr schwer irgend etwas Vernünftiges zu finden. Normalerweise gibt es dort nur Geschenke für Menschen, die man sowieso nicht leiden kann: Holzschnitzereien die unglaublich teuer sind, kitschige Figuren aus Plastik oder Blechspielzeug.

Weihnachtsmärkte sind paradiesische Orte für all jene Menschen, die sich freiwillig von der Gegenwart verabschiedet haben. Für die lieben Kleinen ist auch allerhand geboten. Sie dürfen auf Ponys reiten, Karussell fahren oder sich auf den Schoß vom lieben Weihnachtsmann setzen und ihm seine Wünsche vortragen. An dem genervten Gesicht des Weihnachtsmann läßt sich schon sehen, wie gerne er die lieben Kleinen hat. Wer sich durch Weihnachstmärkte bewegt, ist schnell mit seinen Nerven am Ende, da unzählige Menschen das Im-Weg-Stehen zu ihrem Lebenszweck erkoren haben. Ohne Vorwarnung bleiben sie stehen und bestaunen einen dämlichen Plastikengel oder grüne Wachskerzen. In ihrer Konsumstarre verharrt versperren sie den schnellsten Weg zum nächsten Glühweinstand.

Richtig unerträglich werden Weihnachtsmärkte aber erst dann, wenn sich die örtlichen Vereine zu Weih-nachtschören zusammenschließen. "Stille Nacht", "Oh Tannenbaum" und "Schneeflöckchen, Weißröckchen" sind schon unterträglich, wenn sie von professionellen Künstlern gesungen werden. Wenn dann aber auch noch der Taubenzüchterverein singen und für sein neues Vereinsheim sammeln läßt, steigern sich die Schmerzen ins Unerträgliche. Da hilft selbst Glühwein nicht mehr. Oh du fröhliche.


 
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