© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
CD: Klassik
Verkanntes Märchen
Julia Poser

Wie vor ihm Franz Schubert, hoffte auch Robert Schumann (1810–1856) mit der Komposition einer Oper zu Ruhm und Wohlstand zu gelangen. Die zahlreichen Versuche des Vertreters der deutschen Romantik blieben jedoch erfolglos. Sein "Projektier-Buch" nennt u. a. "Hamlet", "Der Korsar", "Wilhelm Meister" oder andere Themen, die später erfolgreich von Richard Wagner vertont wurden. 1847 las er begeistert Hebbels "Genoveva" und bat den Dichter, aus seinem Drama ein Libretto zu machen. Hebbel lehnte ab. Mit der folgenden Arbeit des liebenswürdigen Dichters Robert Reinick war Schumann aber nicht zufrieden. So schrieb er sich den Text zu seiner Oper selbst. Dabei rückte er mehr und mehr von der Hebbelschen Vorlage ab und bevorzugte Ludwig Tiecks Trauerspiel "Leben und Tod der heiligen Genoveva". Im Gegensatz zu diesen Dramen wählte Schumann jedoch ein glückliches Ende für seine Genoveva und den Pfalzgrafen.

Die Uraufführung fand 1850 in Leipzig statt. Zu dieser Zeit galt Schumann als die große Hoffnung des deutschen Musiklebens. Aber die von ihm selbst dirigierte Aufführung verlief enttäuschend: Nach nur zwei Wiederholungen wurde "Genoveva" abgesetzt. Die Zeit war für diese romantische deutsche Oper noch nicht reif. Richard Wagner nannte sie "bizarr", und sie fiel den Musikdramen des Bayreuther "Überkomponisten" zum Opfer, obwohl die Musik von großer lyrischer Schönheit ist – wie eine herrliche Symphonie mit Gesang. Selbst die Arien sind eigentlich eher poetische, volkstümliche Lieder.

Über hundert Jahre wagte kaum ein Intendant, sich mit dieser "bühnenuntauglichen" Oper zu befassen. Mehr durch Zufall stieß der Dirigent Nikolaus Harnoncourt auf Schumanns Partitur. "Das ist wunderschöne Musik", fand er und führte "Genoveva" 1996 beim Grazer Festival "styriarte" auf. Diese einmalige konzertante Aufführung hat TELDEC dankenswerterweise auf CD aufgenommen.

Ruth Ziesack als jungverheiratete Genoveva verströmt mädchenhaft lieblichen Wohllaut. Den Pfalzgrafen Siegfried, der die Sorge um Frau und Burg seinem Bastardbruder Golo anvertraut, wird von Oliver Widmer mit markig strömendem Bariton gesungen. Die Tenorpartie des Golo ist die bedeutendere. Der Südafrikaner Deon van der Walt singt den nicht unsympathischen, aber in seiner Liebe zu Genoveva verstrickten Golo mit ausdrucksstarkem, lyrischen Tenor. Golos Amme, die zauberkundige Magaretha, ist die interessanteste Figur der Oper. Marjana Liposek drückt mit ihrem wandlungsfähigen, dunkeltimbrierten Mezzo hinterlistige Bosheit wie Todesangst vor der Entdeckung ihrer Hexenkünste aus.

Auch Rodney Gilfrys machtvoller Bass als Bischof und Thomas Quasthoffs treuer Diener Drago tragen im Verein mit dem Arnold Schönberg- Chor zum Gelingen dieser außergewöhnlichen Aufnahme bei. Harnoncourt erreicht mit dem feingestimmten Chamber Orchestra of Europe einen poesievollen Klang und weiß klug zwischen den hellen Genoveva-Szenen und den düsteren Tönen Margarethas zu differenzieren.

Das vorzügliche Beiheft trägt sehr zum Verständnis der hohen Musikalität dieser verkannten Märchenoper bei. Für diejenigen, die um Ideen für Weihnachtsgeschenke bemüht sind, ist diese Aufnahme eine vorzüglich geeignete Empfehlung.(Schumann "Genoveva" TELDEC 0630-13144-2, 2 CD, dreispr. Libretto.)


 
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