© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
Ausstellung: Leni Riefenstahl im Filmmuseum Potsdam
Das disziplinierte Gesicht
Doris Neujahr

So schnell ändern sich die Zeiten! Im vergangenen Jahr, als Leni Riefenstahl 95 wurde und eine Werkschau fällig gewesen wäre, galt ihr Fall noch als zu heißes Eisen. So fand nur eine kleine Exposition ihrer Nuba-Bilder in einer Hamburger Privatgalerie statt. Gut ein Jahr später ist eine Ausstellung an repräsentativer Stelle, im Potsdamer Filmmuseum, zu besichtigen. Die Eröffnung fand allerdings ohne die inzwischen 96jährige Regisseurin statt. Aus Krankheitsgründen, hieß es.

Oder war es die Befürchtung, daß der Titel doch noch "Schönheit und Schuld" lauten könnte, die sie am Starnberger See zurückhielt? Denn Schuld kann Leni Riefenstahl, die auf der Trennung von Politik und Kunst, den NS-Greueln und den Masseninszenierungen ihrer Filme besteht, nach wie vor nicht erkennen. Es ist gut, daß dies die Ausstellungsmacher nicht davon abgehalten hat, ihr eine große Gesamtschau zu widmen, die erste in Deutschland.

Was drückt sich darin aus? Daß Qualität sich letztlich gegen alle Widerstände durchsetzt? Oder daß Deutschland sich normalisiert und allmählich lernt, ohne Hysterien auch über die problematischen Kapitel seiner (Kunst-)Geschichte zu reflektieren? Beides ist zutreffend. Hinzu kommt die Überzeugung, daß die düstere Faszination ihres Negativ-Mythos’ nur rationalisiert werden kann, wenn die Beschäftigung damit über den Kreis der Experten hinausgeht und zur öffentlichen Angelegenheit wird.

In fünf durch Stellwände abgeteilten Räumen werden Schwerpunkte ihrer Kunst gezeigt. Auf Monitoren laufen außer der Hitler-Apotheose "Triumph des Willens" (1935) ihre Olympia- und Spielfilme. Zu sehen sind Fotografien vom nordafrikanischen Nuba-Stamm und ihre späten, atemberaubenden Unterwasseraufnahmen. In Großaufnahme läuft Ray Müllers Riefenstahl-Dokumentation "Die Macht der Bilder" aus dem Jahr 1993. An den Außenseiten der Stellwände sind zahlreiche Fotos, Urkunden, Briefe, Zeitungsartikel, Kritiken, Gerichtsurteile zu betrachten und nachzulesen.

Die Beschäftigung mit Riefenstahl ist nicht nur wegen ihres Ausnahmetalents unumgänglich. Im Ausland gilt sie immerhin als bedeutendste deutsche Filmkünstlerin, deren zweiteiliger Olympia-Film ("Fest der Völker", "Fest der Schönheit", 1938) als einer der besten je gedrehten Streifen in die Geschichte der Kinematographie eingegangen ist. Die folgenreichste ist sie obendrein: Längst ist es müßig, die Namen der deutschen und internationalen Künstler aufzuzählen, die von ihr beeinflußt wurden oder ihre schwärmerische Bewunderung ausdrückten. Von Regisseur Rainer Werner Fassbinder ist ein Brief ausgestellt, in dem er Leni Riefenstahl um Männerfotos für seinen Film "Querelle" bittet. Der aktuelle Videoclip "Stripped" der Teutonen-Rockband "Rammstein" – in Wahrheit fünf Lausbuben aus Berlin-Prenzlauer Berg – wurde aus Riefenstahl-Aufnahmen zusammengeschnitten und ist vor allem in den USA ein Riesenerfolg.

Die Potsdamer Ausstellung bebildert leider nur, was man größtenteils bereits weiß. Sie ist ein Kompromiß, der unterschiedliche Interessen und Intentionen bündelt, schließlich waren die Organisatoren auf Riefenstahls Kooperation und Privatarchiv angewiesen. Privates wird in der Tat überreichlich geboten, während über ästhetische Tradierungen und den zeit- und filmgeschichtlichen Kontext – das heißt auch den internationalen – nichts Neues mitgeteilt wird. Immerhin kann der Besucher nachlesen, daß die Kritiken zum Olympiafilm in den englischen und französischen Zeitungen nicht weniger euphorisch als in der NS-Presse waren.

Der Film zeigte natürlich nicht so sehr die Wirklichkeit der Olympischen Spiele, als einen Traum von ihnen. Das Ideal der gleichgerichteten Massen und des "schönen", "neuen" Menschen mit Astralleib und ruhig-festem Blick, der die Welt und die Geschichte überwunden hat, war ein internationales Phänomen, dessen Faszination nicht zuletzt aus den Selbstzweifeln der Demokratien in den zwanziger und dreißiger Jahren herrührte. Ernst Jünger schrieb in seinem Aufsatz "Über den Schmerz" 1934: "Was man in der liberalen Welt unter dem ’guten‘ Gesicht verstand, war eigentlich das feine Gesicht, nervös, veränderlich und geöffnet den verschiedenartigsten Einflüssen und Anregungen. Das disziplinierte Gesicht dagegen ist geschlossen; es besitzt einen festen Blickpunkt und ist einseitig, gegenständlich und starr. Bei jeder Art von gerichteter Ausbildung bemerkt man bald, wie sich der Eingriff fester und unpersönlicher Regeln und Vorschriften in der Härtung des Gesichts niederschlägt."

Über die Legitimität dieser "unpersönlichen Regeln" wird man heute anders denken als Jünger, doch mit seiner Analyse liegt er wohl richtig. Riefenstahls eindimensionale Menschen übrigens tauchen heute zitatweise in der Werbung auf, wo das Glücksversprechen aus dem Konsum anstelle der Ideologie und dem siegreich bestandenen Kampf kommt. Diese sehr aktuellen Probleme werden wenigstens im Katalog angeschnitten, während die Ausstellung sie ausspart.

Trotzdem ist sie angebracht und nützlich. Die angeblich so verführerische, mit gewaltigem Aufwand inszenierte braune "Erhabenheit" der Filmsequenzen, in denen die Massen zum Ornament werden und Hitler seine ungelenken Feldherrenposen zelebriert, schlägt in diesem Kontext einfach in Lächerlichkeit um. Das könnte tatsächlich der Anfang von Leni Riefenstahls Entmystifizierung sein.

Die Beiträge im Katalog – sein Einband ist braun! – sind durchweg lesenswert und von hohem Niveau. Herausragend sind Oksana Bulgakowas Aufsatz über die populäre, aber unzutreffende Gleichsetzung von Riefenstahl und Sergej Eisenstein sowie Georg Seeßlens Überlegungen zu "Blut und Glamour", in denen es um die Berührungspunkte zwischen der Riefenstahl-Ästhetik und dem Popdiskurs geht.

Die Ausstellung ist bis zum 28. Februar 1999 im Filmmuseum Marstall Potsdam zu sehen. Öffnungszeiten Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr. Der Begleitband zur Ausstellung ist im Henschel Verlag, Berlin, erschienen und kostet 39,90 DM.


 
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