© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
1968: Ex-SDSler Bernd Rabehl, Peter Furth und Horst Mahler bei den "Bogenhauser Gesprächen"
"Wir waren die nützlichen Idioten
Baal Müller

Seit Claus-M. Wolfschlags Buch "Bye-bye ’68" wird die Wandlung verschiedener, zum Teil bekannter Exponenten der 68er Bewegung zu Verfechtern eines neuen Konservatismus mit Interesse verfolgt. Anders als viele ihrer Altersgenossen führte diese Renegaten der 68er Generation ihr politischer Weg nicht vom Linksradikalismus in eine verwässerte "Neue Mitte" und damit in die Schaltstellen der Macht, sondern sie wechselten gleichsam die Fronten. Viele von ihnen haben dabei ihren kritischen Geist keineswegs eingebüßt, auch wenn sie ihr früheres Revoluzzertum heute eher als Stabilisierung und Weiterentwicklung des einst so verhaßten Systems betrachten.

Das Nachwirken von 68 und besonders die Erfahrungen neurechter Konvertiten aus der einstigen 68er-Szene waren am 5. und 6. Dezember Gegenstand der "Bogenhauser Gesprächeì der Münchner Burschenschaft Danubia. In dem mit etwa 120 Personen bis auf den letzten Platz gefüllten Saal referierten und diskutierten vier Zeitzeugen der 68er Bewegung, um, wie es im Untertitel hieß, "das geistige Vakuum in Deutschland zu überwinden". Alle vier waren sich darin einig, daß dieses Vakuum als direkte Konsequenz von 68 zu bewerten sei, wenngleich nur der erste Referent, Hannes Kaschkat, von Anfang an ein Gegner der 68er gewesen ist. Der Rechtsanwalt und frühere Vizepräsident der Universität Würzburg war der erste Chefredakteur der Zeitung student, die als Reaktion auf die 68er Bewegung gegründet wurde und bis 1986 erschien. Sein Vortrag "Die Zeitschrift student und die Gegen-68er-Bewegung" schilderte die von heftigen Auseinandersetzungen begleitete Geschichte dieses mit einer Auflage von zeitweise 100.000 Exemplaren wichtigsten Organs einer eher konservativen Studentenschaft. Besonderen Wert legte Kaschkat in seinen Ausführungen auf die Vorgeschichte von 68, die er bis zum Anti-Atomtod-Kongreß 1951 zurückdatiert.

Sehr leidenschaftlich und engagiert war der stark autobiographisch geprägte Vortrag "über APO und RAF zu neuem Denken und neuer Politik" von Horst Mahler, der als Mitbegründer der RAF und laut Spiegel "Deutschlands berühmtester APO-Anwalt" bekannt ist. Mahler schilderte zunächst seine Herkunft aus einer schlesischen Kleinstadt, das konservativ-bildungsbürgerliche Milieu seines Elternhauses und sein damaliges Unverständnis darüber, wie seine im Grunde so biederen und braven Eltern Parteigänger der Nazis haben werden können. Erfahrungen dieser Art und die politischen Schlüsselereignisse seiner Jugend, vor allem die Kubakrise und der Vietnamkrieg, ließen den Korpsstudenten immer weiter nach links rücken. Er wurde Mitglied von SPD und SDS und glaubte an einen sich vor allem im Nord-Süd-Konflikt zeigenden weltrevolutionären Prozeß, den es durch gewaltsame Aktionen zu befördern gelte. Der angebliche Befreiungskampf pervertierte schließlich soweit, daß man den Untergang des verhaßten Systems gerade durch Ausschaltung derjenigen Kräfte bewirken wollte, die sich einsichtig und reformwillig zeigten. "Wir waren Monster geworden", kommentierte Mahler rückblickend diese teuflische Logik. Als RAF-Mitglied wurde er 1971 verhaftet und zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt, die ihm rückblickend als eine Zeit der geistigen Besinnung erscheint. Auch heute noch hält er den Kampf gegen unausgewiesene Autoritäten für notwendig, jedoch gelte es, das destruktive Denken der 68er gründlich zu verabschieden. Der Andere sei nicht als Feind und Unperson zu bekämpfen und auszulöschen, sondern im Sinne Hegelscher Dialektik als Gegner zu respektieren und als geistiger Widerpart zu begreifen. Der Negation müsse eine neue Position, der Antithese eine neue Synthese als geistig-sittliche Substanz folgen, worin Mahler ein nicht mehr antagonistisches "neues Denken" sieht, das der Lutherschen Reformation an Bedeutung gleichkomme. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die praktische Möglichkeit dieses Entwurfs diskutiert, dem nach Ansicht verschiedener Redner die immer noch von Feindbildern geprägte Realität und besonders auch die Kriminalisierung der politischen Rechten entgegenstünde.

Der dritte Referent, Peter Furth, hielt mit seinem Beitrag "Verweigerte Bürgerlichkeit, Motive, Mythen und Folgen der 68er-Kulturrevolution" einen Vortrag von eher akademischem Gepräge. Furth, der 1953 Mitglied des SDS geworden war und von 1973 bis zu seiner Emeritierung 1995 an der FU Berlin Sozialphilosophie lehrte, hat in den achtziger Jahren mit dem Marxismus gebrochen. Sein Hauptvorwurf an die Adresse seiner einstigen linken Weggefährten besteht darin, daß sie die für den modernen Staat konstitutive bürgerliche Rolle des Individuums verweigert hätten und dadurch zu Opfern ihrer eigenen Mythen geworden seien. Unter Berufung auf Max Weber betrachtet Furth den Bürger in seiner Polarität als Bourgeois und Citoyen, die ihn von Beginn an kennzeichne. Der Bourgeois verkörpere die ökonomische und konsumorientierte Seite des Bürgertums, während der Citoyen seine republikanische und jakobinische Dimension darstelle. Diese Spannung gelte es als Grundkategorie von Bürgerlichkeit auszuhalten. Die einseitige Identifikation mit einem Teilaspekt führe zu Feindbildern, wie sie für die sich allein am Citoyen orientierenden 68er charakteristisch gewesen seien. In der heutigen Gesellschaft zeige sich die Polarität des Bürgerlichen in der Dichotomie von hedonistischer "Spaßgesellschaft" und autoritär-asketischer "Schuldgemeinschaft". Um dem Nihilismus der ersteren zu begegnen, predigen die Wortführer der letzteren die ritualisierte Wiederholung von kollektiver Schande. Der Holocaust wird damit nach Furth zur letzten quasireligiösen Instanz, zu einem mit Denk- und Bilderverboten belegten Zentrum einer allein über die gemeinsame Schuld definierten Identitätsstiftung, die aufgrund ihrer Negativität zum Scheitern verurteilt sei. Der Citoyen werde von den Nachfahren der 68er somit zum Märtyrer verklärt, worin sich – trotz aller abweichenden Rhetorik – einmal mehr ihr letztlich systemstabilisierender Charakter zeige.

Auch Bernd Rabehl sieht die 68er letztlich als "nützliche Idioten", die trotz ihres verbalen Antiamerikanismus und ihrer Proteste gegen den Vietnamkrieg die Westintegration und damit die Amerikanisierung Deutschlands gefördert hätten. Rabehl, der 1968 Vorstandsmitglied des SDS war und heute Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin ist, hob in seinem Vortrag "1968 – Symbol und Mythos" gerade diesen Gegensatz zwischen der historischen Realität und der Selbstwahrnehmung der 68er hervor: Die Studentenbewegung hätte die bislang nur punktuell erfolgreiche reeducation der Deutschen durch die amerikanische Besatzungsmacht de facto fortgesetzt und popularisiert. Dadurch sei Deutschland von seinen alten Eliten getrennt und zunehmend seiner Identität beraubt worden, was vor allem deshalb zu seiner schleichenden Selbstzerstörung führen könne, weil der Wille zur Bewahrung des Eigenen kaum noch vorhanden sei.

Bei der abschließenden Diskussion wollte das Plenum dieser negativen Diagnose nicht folgen. Vielmehr hoffte man auf eine Regeneration des Volkes durch das Erstarken "nationaler Kräfte", die sich nicht mehr durch ständige Abgrenzungen selber lähmen und von der herrschenden Meinung stigmatisieren lassen. Notwendig sei dazu die Herausbildung einer "neuen Elite", die dem heute von alten 68ern geprägten Establishment zum kulturellen Kampf um die Hegemonie entgegentreten könne. Ereignisse wie die Kontroverse um die Walser-Rede zeigten, daß eine zunehmende Auflösung geistiger Verkrustungen zu erwarten sei, so ein Teilnehmer.


 
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