© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/98 11. Dezember 1998 |
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Staatsbürgerschaft: Der Völkerrechtler Karl Doehring über das Problem des loyalen Bürgers "Zu wem steht man in der Krise?" Karl-P. Gerigk / Dieter Stein Aus welchem historischen Kontext ist das heute gültige Staatsbürgerrecht so entstanden? Doehring: Es geht genauer um die Staatsangehörigkeit. Zu welchem Staat gehört ein Mensch? Das ist historisch konkreter geworden in der Zeit, als die Nationalstaaten sich auf ihre Souveränität beriefen, ein völlig abgegrenztes Territorium sowie Gebietshoheit und Personalhoheit über die Staatsangehörigen hatten. Das ist etwa die Zeit der französischen Revolution und die der ersten Republik auf kontinentalem Boden, die ihre nationale Souveränität besonders verteidigte. Davor war die Personalhoheit nicht so strikt abgegrenzt. Aber gerade die Demokratie hat die Staatszugehörigkeit immer strikt betont. Und der Grund für diese Betonung liegt darin, daß man davon ausgegangen ist und heute auch noch davon ausgehen sollte, daß dieses Staatsvolk, zusammengesetzt aus den Staatsangehörigen, eine Schicksalsgemeinschaft bildet, die zu ihrem Staat in einer besonderen Beziehung steht, nämlich in einem Schutz- und Treueverhältnis. Die Staatsbürgerschaft kann man nicht wechseln wie ein Hemd? Doehring: Nein, das kann man schon deswegen nicht, weil das Völkerrecht dem entgegenstehen würde. Inwiefern? Doehring: Das bedeutet, daß der Mensch im Völkerrecht zu einem Staat gehören muß. Der Staat ist nicht etwa frei, gar keine Bestimmung darüber zu treffen, wer seine Staatsangehörigen sind, er ist verpflichtet dazu. Einen Menschen kann der Staat zum Beispiel auf internationaler Ebene nur dann schützen, wenn er auch zu ihm gehört. Das ist die sogenannte "nationality rule". Also einem Staatenlosen oder einem Fremden darf oder kann ein Staat gar nicht international Schutz gewähren. Kann man sich so die Rosinen herauspicken? Doehring: Ja, natürlich. Es konnte die mehrfache Staatsangehörigkeit auf dieser Welt deshalb bis heute nicht völlig vermieden werden, weil die Staaten verschiedene Systeme haben, ihre Staatsangehörigkeit zu verankern. Die einen Staaten, das waren vor allem die Einwanderungsländer, insbesondere Amerika, haben das Recht gewählt, wer auf ihrem Boden geboren ist, hat die amerikanische Staatsangehörigkeit. Die europäischen Staaten gingen davon aus, daß die Staatsangehörigkeit der Eltern übernommen wird. Und nun kann es sein, daß ein Ehepaar, welches aus einem europäischen Staat stammt, ein Kind in Amerika bekommt, und dieses Kind hat dann zwei Staatsangehörigkeiten: die amerikanische und zum Beispiel die deutsche. Es gibt einen völkerrechtlichen Grundsatz, daß mehrfache Staatsangehörigkeit so weit als möglich vermieden werden solle. Wir haben ein europäisches Abkommen von 1963, das exakt dies vermeiden soll. Was wurde dort genau vereinbart? Doehring: Das beinhaltet, daß sich jeder Staat bemühen möge, die doppelte Staatsangehörigkeit einzuschränken. Wir hatten früher die Vermittlung der Staatsangehörigkeit durch die Heirat, und zwar automatisch. Wenn ein Deutscher eine Ausländerin heiratete, bekam diese die deutsche Staatsangehörigkeit, wobei der andere Staat sie aus ihrer früheren Staatsangehörigkeit entlassen sollte. Man kann den Staat aber nicht dazu zwingen. Dieses System ist aufgehoben worden, weil dann eine deutsche Frau jeden X-beliebigen Ausländer durch Heirat hätte einbürgern können. Aber solche Liberalität, daß jeder durch Heirat sofort die andere Staatsangehörigkeit erhält, war nicht beabsichtigt. Das Staatsangehörigkeitsgesetz hat dann die Einbürgerung erleichtert, die Automatik sollte nicht mehr stattfinden. Vertreter der Bundesregierung behaupten, daß unser Recht rückständig sei. Man spricht von einer angeblichen "Modernisierung" der Staatsbürgerschaft. Doehring: Die Leute, die sich darauf berufen, werden dadurch hin- und hergerissen . Der Ruf nach dem"ius soli", also die Staatsbürgerschaft nach dem Geburtsort, ist relativ neu. Die Amerikaner haben das immer gemacht, aber eine rückständige Geschichte ist das Abstammungsrecht wohl nicht. Überwiegend gibt es nur die Staatsangehörigkeit vermittelt durch die Abstammung. Abstammung als Grundlage für Staatsangehörigkeit ist eine Basis für die Schicksalsgemeinschaft. Wenn irgend jemand zufällig irgendwo geboren ist, was hat er mit dem Staat zu tun? Wenn er natürlich dort lange lebt, haben ja auch die "Abstammungsländer" immer gesagt, soll die Einbürgerung erleichtert werden. Aber dann sollte er seine andere aufgeben. Was meinen Sie mit "Schicksalsgemeinschaft"? Doehring: Schicksalsgemeinschaft bedeutet, daß das gesamte Staatsvolk, zusammengesetzt aus Staatsangehörigen, haftet. Wir haften für das Unrecht, das vom Dritten Reich begangen wurde. Da haften die Deutschen. Ja, wer ist das nun? Stellen Sie sich vor, jemand läßt sich in Deutschland 1960 einbürgern, der kann ja wohl keine Kollektivschuld mehr an den Nazi-Verbrechen haben er haftet aber mit, weil seine Staatsangehörigkeit deutsch ist. Die Haftung im internationalen Recht fragt nicht danach, ob jemand persönlich schuldig wurde oder nicht, sondern zu welcher Gemeinschaft er gehört. Was soll man den hier geborenen Ausländern anbieten? Doehring: Wenn jemand hier bei uns als Ausländer geboren wird in der zweiten oder dritten Generation, sollte er, wenn er dann die deutsche Staatsbürgerschaft haben will, die andere aufgeben. Die doppelte Staatsangehörigkeit hat die große Schwierigkeit, daß wir im internationalen Recht immer und immer wieder nach der "Effektiveren" fragen müssen. Wo gehört er nun wirklich hin? Wir können nicht sagen, er gehört zu zwei Staaten, dann geht das Theater los, denn welcher Staat ist nun wirklich für ihn zuständig? Schon die Frage nach der effektiveren Staatsangehörigkeit zeigt ja, daß man im Grunde doch nur eine anerkennen will. Kann man sich in der Frage auf die Türkei als Verhandlungspartner verlassen ? Doehring: Ja das kommt darauf an. Ich weiß nicht, was die Türken machen. Wir können nicht über die türkische Staatsangehörigkeit bestimmen. Wir könnten höchstens sagen, wir bürgern keinen ein, der aus der türkischen nicht entlassen wird. Das müssen wir sogar sagen. Ich meine, entweder bekennt man sich zu der Schicksalsgemeinschaft des einen Staates oder zur Schicksalsgemeinschaft des anderen Staates. Stellen Sie sich das mal beimWahlrecht vor. Die Amerikaner hatten lange Zeit die Staatsbürgerschaft aberkannt, wenn jemand im Ausland gewählt hat. Es gibt viele Staaten, die die Staatsbürgerschaft aberkennen, wenn jemand im Ausland in den öffentlichen Dienst eintritt. Das sind alles Regeln, die jahrelang praktiziert worden sind. Wenn man sich vorstellt, daß jemand die doppelte Staatsangehörigkeit hat, dann hier wählt, weiß ich ja noch nicht einmal, in wessen Interesse er eigentlich wählt. Das betrifft auch die Schicksalsgemeinschaft. Wenn er hier wählt, dann sollte er doch bei der Wahl das Interesse des Staates im Auge behalten, zu dem er nun wirklich gehört.Man kann nicht sagen, jetzt bin ich mit dem Staat verbunden, und wenn es dem dreckig geht, gehe ich in den anderen, und dann bin ich mit dem verbunden, da geht es jetzt besser. Wir kommen um die Schicksalsgemeinschaft nicht herum, weil die Welt immer noch aus souveränen Staaten besteht, ob wir das wollen oder nicht. Aber wir haben diese Einteilung, und um die kommen wir nicht herum. Für einen Deutschen sorgt auch kein Staat außer Deutschland. Deswegen sind auch die Hürden für Einbürgerungen in der Vergangenheit relativ hoch gewesen. Doehring: Ich bin überhaupt der Meinung, die Einbürgerung sollte nicht kollektiv gewährt werden, sondern einzeln. Dann kann man prüfen, ob dieser Mensch hier hingehört. Dann kommt man zu der berühmten Integration. Die Integration kann nur stattfinden, wenn der Mensch, der integriert werden soll oder will, sich wirklich hier zugehörig fühlt. Führen wir das mal auf die Schicksalsgemeinschaft zurück. Der Staat muß verlangen, daß Menschen für die Gemeinschaft auch Opfer bringen. Das war in Kriegen sowieso so, deshalb hatten wir immer Schwierigkeiten bei der Wehrpflicht mit Doppel-Staatsangehörigen. Der Mensch muß für seine Gemeinschaft Opfer bringen, denn wenn er keine Opfer bringt, wird dies kein anderer tun, denn Schutz und Treue müssen sich entsprechen. Das sagt bis heute das Völkerrecht. Bedeutet es nicht sogar Desintegration, wenn man keine klare Einbürgerung fordert? Doehring: In jedem Fall. Man kann ja dann fragen: "Wo gehörst du
eigentlich hin?" Ich habe nichts gegen einen Ausländer, der sich hier einbürgern
läßt, aber dann soll er sagen: "Ab nun bin ich Deutscher". Und zwar mit allen
Pflichten auch mit der Opferbereitschaft. Wenn das alles da ist, dann habe ich
keine Bedenken, jemanden aufzunehmen. Aber wenn jemand kommt und sagt: "Eigentlich
möchte ich mich von meiner richtigen Heimat doch nicht lösen", dann
frage ich mich, was würde er tun, wenn eine Krise käme? Doehring: Dies ist eine sehr staatsphilosophische Auslegung des
Grundgesetzes. Der Begriff des Staatsvolkes, so wie das Grundgesetz ihn verwendet, müßte
man argumentieren, impliziert, daß man regelmäßig nur zu diesem Volk gehört. Ich
würde dieser Auslegung des Grundgesetzes zuneigen. Im Jahr 2100, so Berechnungen, gibt es nur noch 30 Millionen Deutsche. Kommen wir überhaupt um Einwanderung herum? Doehring: Massen von Einwanderern aufzunehmen kann hier nicht die Lösung des Problems von Geburtenrückgang sein. Ist die Demokratie gefährdet, wenn sich der Souverän, das Volk, in seiner Zusammensetzung zu schnell ändert? Doehring: Mir liegt der Begriff der Republik näher. Hier kommt zum Ausdruck, daß der Mensch mit seinem Gemeinwesen verhaftet ist. Die Werteordnung einer Demokratie könnte durch zu viel fremden Einfluß gefährdet sein. In einer Republik erhält die Gemeinschaft jedoch das Gemeinwesen. Wie aber kann in einer Republik das Gemeinwesen gefördert werden, wenn die Wertevorstelltungen zu unterschiedlich sind? Die Demokratie entscheidet darüber, wer die Macht im Staat ausübt; die Republik darüber, ob es gemeinsame Werte gibt, die man gemeinsam stützen will. Ist es möglich den Bezug auf Gott und den deutschen Volksbegriff aus der Verfassung zu eliminieren? Doehring: Nein die Grundrechte und auch die Kultur entspringen
einer gewachsenen Werteordnung. Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes bedarf der
Ausfüllung welche Unterschiede dürfen gemacht werden? Kommt bei einem
Strafverfahren jemand aus einer anderen Kultur, sagt er vielleicht, ich fühle mich gar
nicht schuldig. In seiner Kultur mag das Delikt gar nicht strafbar gewesen sein. Das
Problem ist, daß es im Strafrecht auch auf die Schuld des Angeklagten ankommt. Das
gleiche Recht muß jedoch für alle Deutschen gelten. Soll bei gleichem Verhalten in einem
Staat sowohl Freispruch als auch Verurteilung jeweils dann "Recht" sein, wenn
die kulturelle Herkunft maßgeblich ist? |