© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Schwarze Szene: Eine Momentaufnahme aus "wissenschaftlichen Gründen"
Kollektives Stahlbad
Baal Müller

"Wir sind Waldteufel", sagte der hagere Mann auf der Bühne, dessen wahrhaft diabolischer Spitzbart mich veranlaßt, ihn allzu wörtlich zu nehmen und die Anführungszeichen dem Effekt zu opfern. "Wir sind ’Waldteufel‘", mahnt mich jedoch sogleich das journalistische Gewissen zu korrigieren, und ich gebe ihm wenigstens im zweiten Satz nach.

Um die Gruppe Waldteufel handelt es sich also, die vor einigen Tagen gemeinsam mit Blood Axis aus den USA und der österreichischen Band Allerseelen in Esterhofen bei München auftrat. Alle drei gehören der sogenannten "Schwarzen Szene" an, unter deren Namen man verschiedene Musikrichtungen wie "Industrial", "Gothic", "Dark Wave", "Mittelalter" usw. zusammenfaßt.

Gemeinsam ist diesen Stilrichtungen – bei sehr unterschiedlicher musikalischer Realisierung – die Neigung zum Okkulten und Obskuren, zu antiken Mysterien und christlicher Mystik, zu modernem Paganismus, Spiritismus und Satanismus. Entsprechend begann dann auch der Auftritt von Blood Axis, der Hauptgruppe, mit einem tüchtigen rituellen Schluck aus dem Trinkhorn und einer lauten Beschwörung: Ooodiiiin!!! hallte es durch den mensch- und rauchgefüllten Saal des "Ballroom" – eine Art Jugendzentrum mit Mehrzweckhalle –, und es hätte statt dessen wohl auch Mithras, Merlin oder Luzifer gemeint sein können.

Spätestens hier wird sich der Leser an Bekanntes erinnern, an die Lektüre zwielichtig-dekadenter Autoren vielleicht, etwa Baudelaire, Huysmans oder d’Annun-zio, vielleicht auch an diese komischen weißgeschminkten Mädchen aus den Fußgängerzonen mit den silbernen Ketten und Ringen, den schwarzen Gewändern und noch schwärzer gefärbten Haaren. In der Tat, solche waren reichlich auf dem "Nebelung-Festival" in Esterhofen vertreten – und doch scheint die heutige Schwarze Szene nicht einfach nur eine Ansammlung von übriggebliebenen Untoten aus den achtziger Jahren zu sein, die sich damals auch schon "Gothics", "Waver" usw. nannten.

Wohlgemerkt, ich will hier nicht irgendeiner neuen Esoterikwelle das Wort reden; ich besuche solche Konzerte schließlich nur aus wissenschaftlichen Gründen! Und beim Odin: Der Wissenschaftler wird schnell fündig. Überall begegnen ihm altbekannte Namen wie Nietzsche oder Jünger, und manche Lieder sind Vertonungen von Werken zum Teil recht entlegener Autoren (etwa das großartige, ein Gedicht von Ricarda Huch verarbeitende "Sturmlied" der Gruppe Allerseelen). Schaut man in die entsprechenden Publikationen wie das Sigill-Magazin oder die Aorta, dann tauchen zahlreiche weitere, oft nicht gerade salonfähige Gestalten aus der Versenkung auf: etwa der österreichische Rassenideologe und "Ariosoph" Georg Lanz von Liebenfels, der Münchner "Kosmiker" Alfred Schuler, der "Gralssucher" Otto Rahn und viele mehr. Heroen der Geistesgeschichte stehen neben esoterischen Sektierern, runenkundigen Geheimbündlern oder modernen Verfassern von Büchern über die "Innere Erde" (nach deren Auffassung wir übrigens auf der Oberflächeninnenseite einer Hohlwelt leben, was man u.a. daran erkennen könne, daß unsere Schuhe ja vorne und hinten abgenützt seien und nicht in der Mitte, wie bei einer Existenz auf der äußeren Konvexseite der Erde eigentlich zu erwarten wäre).

Ein großer Reichtum an Detailkenntnissen erstaunt ebenso wie eine völlig unkritische Rezeptionshaltung, eine Emphase des Widerspruchs und Radikalität der Verneinung, die man der "angepaßten" heutigen Jugend gemeinhin – meist unter Tadel – abspricht. Es gärt und wabert gewaltig, doch den Worten folgen (vielleicht glücklicherweise) keine Taten. Es handelt sich vielmehr um eine ästhetische Opposition, die berauscht ist vom Düstren, vom Diabolischen und einer von Fritz Lang und Leni Riefenstahl her bekannten Grausamkeit des Ornaments. Wenn die neuheidnischen Esoteriker, dieser wohl bizarrste Flügel der Neuen Rechten, gelegentlich auch Elemente des Faschismus wiederentdecken, dann in seiner ästhetischen Dimension als Mathematik der Masse und Pathos des Symbols, als Rausch der Exaktheit und kollektives Stahlbad.

"Einen mystisch-martialischen Aderlaß" nennt der österreichische Künstler Kadmon daher die Musik von Blood Axis – allerdings, so müßte man hinzufügen, einen solchen, der die Adern geschlossen und das Blut nur in den Ohren rauschen läßt. Der Verwaltungsgerichtskassierer Dieter und die Krankenschwester Ulrike (vielleicht hießen sie auch Thomas und Gaby) legen ihr schwarzes Outfit nach dem Nebelung-Festival wieder ab und sind am nächsten Morgen pünktlich bei der Arbeit.

Die heidnische Mystik bleibt genauso Musik wie die "One world"- und "One family"-Phrasen der Love Parade; immerhin aber muß man den Protagonisten der Schwarzen Szene ein weit höheres intellektuelles Niveau und einen Willen zur Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zubilligen, die sie von den amerikanisierten Techno-Freaks und Rappern erheblich unterscheiden. Auch betont der Sänger von Blood Axis, Michael Moynihan, immer wieder den kulturellen Anspruch und die europäische Verwurzelung seiner Kunst, worin wohl der größte Unterschied zu anderen Erscheinungen zeitgenössischer Jugendkultur besteht. Vielleicht ist es ein schwaches Zeichen solchen Traditionsbewußtseins, daß die Veranstalter statt amerikanischer T-Shirts deutsche "T-Hemden" verkauften?

Der Autor erstand ein solches allerdings nicht, sondern fuhr in Rüschenhemd und schwarzem Gehrock wieder nach Hause (rein modisch hätte er dank seiner Schwäche für Second-Hand-Läden zu der Szene durchaus Affinitäten). Unterwegs erzählte er in der S-Bahn, sehr zum Gelächter der Mitreisenden, daß er eigentlich nur deshalb dagewesen sei, weil seine Magisterarbeit im Sigill-Magazin rezensiert wurde. Schließlich besuche ich solche Konzerte nur aus wissenschaftlichen Gründen.


 
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