© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Harald Wanger: Josef Gabriel Rheinberger. Leben und Werk in Bildern
"Frohlocke Welt, dem Tod entwunden…"
Gerd-Klaus Kaltenbrunner

Unter den Komponisten der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, die sich bewußt an Johann Sebastian Bach und insbesondere Mozart orientiert haben, kommt dem in Vaduz, der Hauptstadt Liechtensteins, geborenen Josef Gabriel Rheinberger ein hoher Rang zu. Als Lehrer, Musiktheoretiker und Orgelkünstler verbrachte Rheinberger, der aus einfachen Verhältnissen stammte, den größten Teil seines Lebens in München. Von hier aus verbreitete sich sein Ruhm weit über Deutschland hinaus. Organist, Hofkapellmeister, Professor der Akademie, Ritter des päpstlichen Gregorius-Ordens, Erhebung in den Adelsstand durch den bayerischen Prinzregenten Luitpold, Ernennung zum Ehrendoktor der Münchner Universität – dies sind die wichtigsten Stationen seiner ehrenreichen Lebenslaufbahn. Katholischer Abkunft, mit mehreren Geistlichen und Ordensleuten verwandt, hat Rheinberger insgesamt achtzehn Messen, vier Requiems, vier Sequenzen, zwei Opern, ferner Oratorien, Kantaten, Motetten, zahlreiche Hymnen und Kirchenlieder, Chöre, Orgel- und Klavierkonzerte, Orgelpräludien, Orgelromanzen und Orgelmeditationen geschaffen. Ein Kenner vom Range Hans-Josef Irmens stellte zutreffend fest, daß Rheinberger zweierlei ausgezeichnet habe: eine besondere Neigung zum Apollinischen, Klaren und Überschaubaren und eine ungebrochene katholische Grundhaltung, die völlig unfanatisch und weltoffen geartet war.

Bei Rheinberger, zeitweilig zu den namhaftesten Kompositionslehrern der Welt zählend, studierten neben vielen anderen Ermanno Wolf-Ferrari, Engelbert Humperdinck und Wilhelm Kienzl, die Musikforscher Theodor Kroyer und Adolf Sandberger, die Pianisten Louise A. Le Beau und Joseph Pembauer junior. Sogar aus dem fernen Nordamerika kamen musikbeflissene Studenten zu dem in Bayerns Metropole wirkenden Liechtensteiner, darunter die beiden Komponisten George Chadwick (1854 – 1931) und Horatio William Parker (1863 – 1919). Auch der Dirigent Wilhelm Furtwängler und der Physiker Max Planck besuchten seine Vorlesungen.

Angesichts der Leistungen des von dem Maler Moritz von Schwind und dem Komponisten Max Reger verehrten Musikers ist es erstaunlich, daß Rheinberger jahrzehntelang so gut wie vergessen war. "Vorzüglich und unbekannt" – so charakterisierte treffend ein Schüler die Schöpfungen des 1901 verstorbenen Tonkünstlers.

Daß Rheinberger im Laufe der letzten Jahre der unverdienten Vergessenheit entrissen worden ist und seine Werke inzwischen immer häufiger in Kirchen oder Konzertsälen aufgeführt werden, ist in allerhöchstem Maße einem anderen Liechtensteiner zuzuschreiben, dem 1933 geborenen Pädagogen, Musikwissenschaftler und Schriftsteller Harald Wanger. Seit 1960 Leiter des Rheinberger-Archivs in Schaan (Liechtenstein), hat Wanger eine Kritische Gesamtausgabe der musikalischen Werke, eine neunbändige Edition von Briefen und anderen Lebenszeugnissen Rheinbergers sowie zahlreiche biographische und musikalische Studien vorgelegt. Nun hat Wanger, an der Schwelle des Ruhestandes angelangt, seine jahrzehntelangen tatkräftigen und zunehmend erfolgreichen Bemühungen um eine Rheinberger-Renaissance mit einem prachtvollen, mehr als 250 Bilder (die meisten in Farbe) enthaltenden Band gekrönt. Soeben im Stuttgarter Carus-Verlag erschienen, ist dieses verschwenderisch ausgestattete Buch ein würdiger Auftakt zur 160. Wiederkehr von Rheinbergers Geburtstag am 17. März 1999. Es dokumentiert mit liebevoller Akribie und augengefälliger Anschaulichkeit den Weg des schaffensfreudigen Komponisten aus dem damals noch bäuerlich-kargen Vaduz über das kleinstädtische Feldkirch in Vorarlberg nach München, den Aufstieg des armen Schülers zum vielbegehrten Lehrer und international anerkannten Künstler, den Papst Leo XIII., Fürsten und andere Musiker bewundernd geehrt haben. Handschriften, Erstdrucke, Faksimiles von Briefen, alten Fotografien, Bilder von Kirchen, Wohnungen und Lieblingsplätzen Rheinbergers und vieles andere mehr vergegenwärtigen uns vom Geburtshaus bis zum Ehrengrab in Vaduz Leben, Schaffen und Widerhall des Meisters.

All dies kann naturgemäß das Anhören und Spielen von Rheinbergers Musikstücken nicht ersetzen, wohl aber hinführend und einstimmend vorbereiten. Rheinberger selbst hat einmal mit Stolz die Grenzen verbaler, lehrhafter oder bildlicher Vermittlung seiner Kunst klar umschrieben: "Musik steht über dem Wort; sie beginnt, wo dieses nicht mehr ausreicht. Darum ist es eitles Beginnen, sie durch Erläuterungen dem Verständnis der Hörer näher bringen zu wollen."

Ein Wort Heraklits lautet ungefähr so: "Nicht mich, sondern des Klanges Sinn sollt ihr vernehmen." Dies gilt auch für Harald Wangers opulentes Rheinberger-Buch. Wir sollen vor allem die Musik hören, nicht bloß die Lebensgeschichte dessen, der sie ins Werk gesetzt hat. Und doch ist vielen von uns dabei geholfen, wenn wir uns den Musiker selbst vorstellen, in der Gestalt eines gütigen, glaubensmutigen und herzensnahen Menschen, der das Bekenntnis abgelegt hat: "Musik ist im Grunde Ausfluß der Freude, und selbst im Schmerz kennt sie keinen Pessimismus." Harald Wangers Werk könnte Dirigenten, Orchesterleiter, Organisten, aber auch einfache Musikliebhaber dazu veranlassen, hin und wieder von den üblichen Standardprogrammen abzuweichen. Sollte man nicht einmal den achtstimmigen "Cantus missai" in Es-Dur (Opus 109), das Zweite Orgelkonzert in G-Moll (Opus 177) oder in weihnachtlicher Zeit die Kantate "Der Stern von Bethlehem" (Opus 164) aufführen, die mit der jubelnden Chorfuge ausklingt: "Frohlocke Welt, / Dem Tod entwunden, / Hast du in Christ / Das Leben gefunden"?

 

Harald Wanger: Josef Gabriel Rheinberger. Leben und Werk in Bildern, Carus-Verlag, Stuttgart 1998, 232 Seiten, 258 Abb., 188 Mark (Subskriptionspreis)


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen