© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Verfehlte Bestimmung
Karl Heinzen

Die Menschen zeigen wenig Geduld mit der neuen Bundesregierung, und man kann es ihnen nicht einmal übelnehmen. Sie wissen um den Epochenwechsel und wollen ihn nun endlich auch zu spüren bekommen. Für allerkleinste Signale sind sie dankbar: Schon der abstrahierte Antiamerikanismus, der aus einigen aphoristischen Bemerkungen von Joseph Fischer herausgeschmeckt werden könnte, läßt sie darauf vertrauen, daß von dieser Regierung mehr zu erwarten ist. Soll die NATO, soll die amerikanische Führungsmacht auf die Androhung des nuklearen Erstschlages verzichten? Dies klingt in Ermangelung eines aktuellen Angriffszieles ohne Frage ein wenig nach Prinzipienreiterei. Man muß die Heraufkunft eines neuen, nach Westen verschobenen, real existierenden Sozialismus aber bloß so weit denken, wie sie nur ein Angehöriger der Baader-Meinhof-Erlebnisgeneration denken kann, um zu ahnen, daß eine verbindliche Selbstbeschränkung der USA sich in der Zukunft vielleicht für die Europäer und Deutschen auszahlen wird.

Verdient aber jene Hundertschaft von Faltengesichtern, die es vom Jugendtraum des Berufsrevolutionärs ohne Umwege in die Erwerbstätigkeit als Berufspolitiker verschlagen hat, den Neid all der Habenichtse, denen nichts als die Meinungsbildung übrigbleibt?

Eine differenziertere Betrachtungsweise ist angebracht, da der Blick nicht allein auf die Höhe und Verläßlichkeit der Einkommen gerichtet werden kann. Man wird den Eindruck nicht los, daß viele linke Kritiker der neuen Regierung auch Gefangene ihrer eigenen Vorstellungen geworden sind: Man unterstellt dem Regime Schröder eine Machtvollkommenheit, die dieses beim besten Willen niemals usurpieren könnte. Die Macht versammelt sich halt nicht mehr in kleinen Zirkeln verwegener und von Legenden umrankter Männer, die dann im Eilverfahren das Schicksal von Millionen in irgendwelche Bahnen lenken. Man muß die Leiber von Gerhard Schröder und Joseph Fischer schon in edles Tuch hüllen: Die Macht alleine ist nicht mehr erotisch.

Unter dieser Entzauberung der Macht leiden gerade diejenigen am meisten, die so verbissen um sie gerungen haben. Natürlich würde ein so fantasievoller Mensch wie Jürgen Trittin viel lieber die ihn drängenden und beileibe nicht nur die Umweltpolitik betreffenden Probleme auf eine gänzlich unbürokratische Art und Weise lösen. Wenn er doch wenigstens über eine Umweltpolizei gebieten könnte, deren Kompetenzen sich ja von Koalitionsvertrag zu Koalitionsvertrag ausweiten ließen! Ohne Säbel läßt sich aber schwer rasseln, und auch die Versuche, die Nordsee zum ökologischen Mare Nostrum zu deklarieren, mögen vielleicht zur Gründung eines grünen Flottenvereins führen, aber kaum zur Ausübung hoheitlicher Gewalt durch Jürgen Trittin. Dieser bleibt an den Sessel gefesselt, den er sich erobert hat. Wie fehl am Platz er sich fühlen muß.


 
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