© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Jubiläum: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Neue Zensoren
Alain de Benoist

Mit zahlreichen Veranstaltungen wird in Frankreich der 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 begangen. Ihren Höhepunkt werden sie mit einer Zeremonie erreichen, in der Paris zur "Welthauptstadt der Menschenrechte" erklärt werden soll. Schon jetzt haben ranghohe Regierungsmitglieder den Ton vorgegeben. Catherine Trautmann will "nur als Recht anerkennen, was an den Menschen im Urzustand gebunden ist". Elisabeth Guigou betont, es sei "Aufgabe der Justiz, Äußerungen zu verfolgen, die gegen die Menschenrechte gehen". Und Robert Badinter bekräftigt, daß "die Menschenrechte der moralische Horizont unserer Zeit bleiben". Auf diese Weise scheint sich die Menschenrechtsideologie als zeitgenössische Religion aufzuzwingen. Diese Religion hat ihre Missionare, ihre Katecheten und ihre Theologen, die behaupten, daß alle Menschen Rechte haben. Aber nicht deswegen erregen sie Aufsehen. In Wirklichkeit liegt ihre Originalität in der Art und Weise, in der sie dies behaupten: in der Formulierung eines abstrakten Menschen, der "unantastbare" Rechte besitzt, deren Wesen nicht greifbar ist. Denn die Ideologie der Menschenrechte proklamiert letztendlich nur die Rechte des Individuums, das heißt eines Menschen, der von seinen sozialen Einbindungen, von seiner Lebenswelt abgenabelt wurde: von all dem, was ihn einzigartig macht. Sie würdigt die Rechte des abstrakten Menschen zum Schaden der Rechte des konkreten Menschen. Sie proklamiert dessen Souveränität und macht diese Souveränität zu seinem fundamentalsten Recht. Dabei riskiert sie die Verbreitung des Egoismus und der Zerstörung gesellschaftlicher Bindungen. Das Essentielle des Menschseins wird so ohne weiteres auf eine Stufe der Abstraktion gestellt, auf der die Unterschiede zwischen den Menschen verschwimmen. Die Menschenrechtsideologie macht aus Individuen Menschen von überall und nirgends. Deshalb bildet sie den Angelpunkt jener "Auslöschungsvorstellung" (Zaki Laidi), die eine "Gesellschaft ohne Ausländer" zum Ziel hat, die weder Grenzen noch Außenwelt kennt.

Gleichzeitig trägt die Menschenrechtsideologie dazu bei, daß miteinander unvereinbare Rechte zum Heiligtum aufgebläht werden. Da diese Rechte sich aus einer individuellen, vorgesellschaftlichen "Natur" herleiten, sind sie niemals mit Pflichten verbunden. Einst war die Würde eines Menschen verbunden mit der Verwirklichung einer Ethik, die sein Verhalten der Hochachtung und Ehrung würdig machte. Damit erlegte sie ihm Pflichten auf. Unsere heutige "Würde" verlangt dem Menschen nichts mehr ab, sondern ist zum Privileg des Subjekts an sich geworden. Daher bedeutet sie dem Menschen nichts als ein Mittel zur Gewinnung neuer Rechte, die mit keinerlei Verpflichtungen verbunden sind. Und diese Rechte werden einzig auf der Basis verlangt, daß es möglich ist, sie sich anzueignen. Hieraus erklärt sich, daß sie sich grenzenlos entfalten: alles, was das Individuum begehrt, wird zum Gegenstand eines einforderbaren Rechtes. So besetzen die Rechte den gesamten öffentlichen Raum und vernichten alle anderen Werte.

Obwohl eindeutig von der westlichen Moderne geprägt, werden die "Menschenrechte" als historisch und geographisch universell angesehen. Angeblich konstituieren sie das "Grundgesetz der Menschheit", und ihre "Erhaltung" ist das Ziel jeder politischen Vereinigung. Allerdings gibt es keine "Menschenrechtspolitik", denn der "Mensch" ist keine politische Kategorie. Gegenstand der Politik sind die verschiedenen Gemeinschaften. Deswegen macht die Demokratie es erforderlich, daß die Menschenrechte politisch in Bürgerrechte umgewandelt werden.

Schließlich kann die Menschenrechtsideologie, die theoretisch auf Toleranz basiert, die schlimmsten Intoleranzen verbergen. Solange man die "Menschenrechte" verteidigt, nimmt man eine Position ein, die im Ruf steht, sich mit der reinen Wahrheit zu decken. Wer im Namen der Menschheit argumentiert, kann folglich nur diejenigen zum Gegner haben, die dieser nicht angehören. Im Namen der Menschheit zu kämpfen und sich mit ihren objektiven Interessen zu identifizieren, führt zwangsläufig dazu, jeden, der Widerspruch erhebt, außerhalb der Menschheit zu plazieren. Wenn eine Ideologie über alle anderen gestellt wird, kommt ihre Anzweiflung einem Ausschluß aus der gemeinschaftlichen Ordnung gleich: Jeder Dissident ist ein Verbannter. Gestern noch vehemente Kritiker der existierenden Gesellschaft, sind die Intellektuellen heute zu den Wächtern der neuen Moral geworden. Indem sie sich auf "universelle" Prinzipien berufen, können sie nicht anders, als den Pluralismus der Gedanken zu bekämpfen und sich damit in Zensoren zu verwandeln. Ihre Gegner werden so zu Feinden, die der Verteuflung preisgegeben sind und die man mit gutem Recht aus der menschlichen Gesellschaft ausschließen darf. Schon Tocqueville sagte: "Die Menschen des demokratischen Zeitalters lieben allgemeine Ideen, weil diese sie davon befreien, sich mit Einzelfällen befassen zu müssen."


 
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