© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Bundesparteitag: Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) auf Perspektivensuche
Die Rücktritte sind vom Tisch
Volker Kempf

Wo steht die über Bayern und Baden-Württemberg hinaus kaum bekannte Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP)? Dies fragten sich schwerpunktmäßig die etwa 220 Delegierten der 7.100 Mitglieder zählenden Formation auf ihrem Bundesparteitag in Wetzlar am vergangenen Wochenende. Die ehrlichste, weil spontanste und beiläufigste Antwort gab vermutlich der ehemalige Bundesvorsitzende Bernd Richter, als er am Sonntag für sich reklamierte, ein "wertebewußter Achtundsechziger" zu sein. So dürfte die ÖDP auch am Ende ihres Parteitages am plastischsten zu etikettieren sein.

Die verkopften Versuche, die Partei neu im Parteienspektrum zu verorten, schlugen fehl. Die Delegierten konnten bildlich gesprochen nicht aus ihrer Haut heraus, um dem Bundesvorstand darin zu folgen, die ÖDP nun als "bürgerlich" und "wertkonservativ" zu bezeichnen. Gerade letzteres sei ein von "rechts" besetzter Begriff und für die ÖDP daher nicht annehmbar. Gesinnungsethiker Peter Schröder aus Ravensburg sah die Gefahr, daß sich Rechtsvorwürfe wieder mehren könnten, die dank harter Arbeit an der Partei weniger geworden wären. Eine emotional aufgeladene Abgrenzung nach rechts – ohne auch nur von links zu reden – bestimmte den Konsens der Delegierten und berechtigt zu der Einschätzung, daß die Partei bei allem Wertebewußtsein, insbesondere für die Familie, im Fahrwasser der Achtundsechziger weiterschwimmt. Damit bleibt die Partei in jenem Lager stehen, wo sich auch die Bündnisgrünen befinden. Welche Daseinsberechtigung hat dann aber noch die ÖDP? Dies fragte sich auch die ÖDP-Bundesvorsitzende Susanne Bachmaier bei der Eröffnung des Parteitages und nahm die Antwort vorweg: "Keine, wenn die ÖDP sich nicht verändert." Die ÖDP hat sich im Kern nicht verändert, doch sie existiert noch immer. Geändert hat sich mit der rot-grünen Koalition hingegen die Rolle der Bündnisgrünen, welche nun ihre offenen Flanken zeigen müssen – erwähnt wurde etwa die versteckte Kohlesubvention durch die "ökologische Steuerreform".

Eine Vertreterin der französischen "Unabhängige Ökologen" machte den Anwesenden in ihrer Begrüßungsrede Mut, daß es möglich sei, neben einer etablierten grünen Linkspartei gute Stimmenergebnisse einzufahren – in Frankreich immerhin drei Prozentpunkte. Doch davon sind die Ökodemokraten weit entfernt, wie die jüngsten Wahlergebnisse zeigen: Da ist zunächst die Halbierung des Bundestagswahlergebnisses von 0,4 auf 0,2 Prozentpunkte. Auch bei der Landtagswahl in Bayern verzeichneten die Ökodemokraten ein rückläufiges Wahlergebnis (1994: 2,1 Prozent, 1998: 1,8 Prozent). Daran änderte auch das große Medienecho nichts, das die ÖDP erwirken konnte, indem sie das Volksbegehren zur Abschaffung des bayerischen Senats gewonnen hatte. Noch bitterer war das Abschneiden bei der gleichzeitig zur Landtagswahl abgehaltenen Bezirkstagswahl: Drei ihrer vier bayerischen Bezirkstagsmandate verlor sie.

 

Attribut "wertkonservativ" wurde abgelehnt

Es lohnt, noch einen Moment bei dem Ansinnen des Bundesvorstandes zu verweilen, die Partei als "bürgerlich" und "wertkonservativ" neu zu etikettieren, um aus der Talsohle herauszukommen. Das Bekenntnis "Ich bin konservativ. Und Konservative müssen revolutionär sein" von Harald von Kanstein wurde zwar mit großem Beifall bedacht, die Delegierten lehnten die Attribute "bürgerlich" und "wertkonservativ" jedoch mit überwältigender Mehrheit ab und konnten sich lediglich mit dem Begriff "wertorientiert" anfreunden. An dieser Stelle angelangt, sahen Teile des Bundesvorstandes für die Partei keine Handlungsmöglichkeiten mehr und erwogen den Rücktritt. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt angelangt. Der Parteitag wurde unterbrochen, um dem Bundesvorstand Bedenkzeit zu geben. Am nächsten Morgen waren die Rücktrittsgesuche wieder vom Tisch. Man habe zu schnell und zu emotional reagiert. Der Parteitag konnte ordentlich weitergeführt und die Kandidaten für das Europaparlament aufgestellt werden. Auf die ersten drei Listenplätze wurden erstens Susanne Bachmaier, zweitens der Münchner Atomphysiker Klaus Buchner und drittens der langjährige Sprecher des Arbeitskreises "Christen und Ökologie", Bernhard Suek, gewählt.

0,5 Prozent der Wählerstimmen und damit das Erreichen der Wahlkampfkostenerstattung sei das erklärte Ziel bei der Europawahl im Juni 1999, betonte Susanne Bachmaier. 1994 erreichte die Partei 0,8 Prozentpunkte. Die Ökodemokraten begnügen sich offenkundig damit, sprichwörtlich kleinere Brötchen zu backen. Allen Niederlagen zum Trotz wurde also nicht an Aufgabe gedacht. Dafür erhielt Bernhard Suek einen überwältigenden Applaus, als er am Sonntag erklärte: "Mich kann nichts entmutigen. Für mich gibt’s keine Alternative dazu, (mit der ÖDP) immer weiter zu machen". Der Applaus spricht dafür, daß die Zuhörer die Worte des bayerischen Delegierten Hermann Lobinger nicht verstanden hatten. Dieser fragte mit einem der Begründer der modernen Sozialwissenschaften, Max Weber, was Politik heiße. Mit der ÖDP einfach weiterzumachen, ohne über die Partei hinaus nach dem Erfolg zu schielen, hieß für Lobinger, um ihrer selbst willen Gesinnungsethik zu betreiben. Dies sei unverantwortlich und unpolitisch.

 

Die Ökodemokraten stehen nicht zu ihren Schwächen

Auch was es heißt, herbe Wahlniederlagen einzufahren, wurde nur von wenigen angedacht. Immerhin, der Freiburger Stadtrat Rolf Asal meinte sinngemäß: Wenn die Erfolglosigkeit offenkundig ist, müsse man daran denken, als eigenständige Partei aufzuhören und andernorts weiter wirken. Doch dazu sei die Zeit noch nicht reif. Warum eigentlich nicht? Müssen die Widerstandskräfte restlos verschlissen werden? Das ist unedel, würde Georg Simmel, ein Kollege des von Lobinger genannten Max Weber, sagen: Es ist "vornehmer, sich zu ergeben, als sich bis zuletzt an die unwahrscheinliche Chance einer Wendung der Dinge zu klammern, diese Chance hinzuwerfen und um diesen Preis dem zu entgehen; daß einem die eigene Niederlage in ihrer ganzen Unvermeidlichkeit bis ins letzte demonstriert wird, dies hat etwas von dem großen und edlen Stil der Menschen, die nicht nur ihrer Stärke, sondern auch ihrer Schwäche gewiß sind, ohne sich ihrer jedesmal erst fühlbar versichern zu müssen."

Zu seinen Schwächen zu stehen, ist stark, lautete vor einem Jahr in etwa eine Formulierung für das neue Grundsatzprogramm. Diese Stärke zu beweisen, hätte der ÖDP-Bundesverband am Wochenende die Chance gehabt.


 
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