© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Wirtschaftspolitik: Kritische Anmerkungen zum "Patentrezept" ökologische Steuerreform
Kein Königsweg zu mehr Beschäftigung
Thomas Brandis

Nach dem politischen Machtwechsel in Bonn wird nun die in den letzten Jahren vieldiskutierte ökologische Steuerreform politische Realität. Auch wenn der Benzinpreis auf absehbare Zeit kaum die Grenze von fünf Mark erreichen dürfte, besteht bei den Koalitionären der designierten rot-grünen Regierung Einigkeit darüber, die Energiepreise schrittweise anzuheben. Damit soll nicht nur der Kohlendioxid-Verbrauch in Deutschland reduziert, sondern auch eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten gegenfinanziert werden. Konkret will man die Sozialabgabenlast in den nächsten vier Jahren von derzeit 42,3 Prozent auf unter 40 Prozent senken, was einem Entlastungsvolumen von 45 Milliarden Mark entspricht. Die menschliche Arbeitskraft würde so billiger und der Einsatz von Personal für die Unternehmen wieder attraktiv. Gleichzeitig verspricht die Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge auch den Arbeitnehmern höhere Nettoeinkommen und damit volkswirtschaftlich gesehen eine Stärkung der Massenkaufkraft, was den Binnenkonsum ankurbelt und für zusätzliche Impulse auf dem Arbeitsmarkt sorgt – so zumindest das Szenario von Rot-Grün.

Kritiker sehen das ganz anders. Denn das auf den ersten Blick plausible Konzept offenbart bei näherem Hinsehen einige gravierende Defizite, die dessen Praxistauglichkeit nachhaltig in Frage stellen. Das offensichtliche Grundproblem der ökologischen Steuerreform ist die Verknüpfung des umweltpolitischen Lenkungsziels mit der steuerlichen Finanzierungsfunktion. Denn geht die Umweltnutzung als Folge der hohen Abgaben wie gewollt zurück, dann sinkt auch das Aufkommen der Ökosteuer. Im Ergebnis stehen weniger Mittel für die Entlastung der Sozialversicherung und damit die Senkung der Lohnnebenkosten zur Verfügung. Das beliebte Gegenargument der Öko-Institute, daß sich die Mineralölsteuer in 16 Jahren Kohl-Regierung immerhin mehr als verdoppelt habe, das Aufkommen aber dennoch von 20,4 Milliarden auf 55,5 Milliarden Mark gestiegen sei, zieht nicht. Denn für den Autofahrer ist nicht die Höhe der Mineralölsteuer, sondern der Endpreis entscheidend, den er an der Zapfsäule bezahlen muß. Und der hat – bedingt durch einen schwächeren Dollar und sinkende Ölpreise – im gleichen Zeitraum bezogen auf den Liter Normalbenzin nur um 31 Prozent zugelegt. Das entspricht einer jährlichen Steigerungsrate von gerade 1,9 Prozent, ein Wert also, der noch unterhalb der Inflationsrate von knapp 2,3 Prozent liegt. Zum Vergleich: Ginge es nach den Grünen, dann würde der Literpreis in nur zehn Jahren auf fünf Mark steigen, ein gemessen am heutigen Preisniveau deutlicher Zuwachs von 222,6 Pfennig oder rund 35 Pfennig pro Jahr. Eine derart drastische Preiserhöhung, die gemessen an den ehrgeizigen fiskalpolitischen Zielsetzungen wohl auch notwendig wäre, würde das Verhalten von Autofahrern und Automobilherstellern zweifelsohne beeinflussen und im Ergebnis zu einem deutlichen Rückgang des Steueraufkommens führen. Im übrigen darf nicht vergessen werden, daß die gestiegenen Einnahmen aus der Mineralölsteuer maßgeblich auf den stark gewachsenen Fahrzeugbestand in Deutschland zurückzuführen sind. Waren 1987 erst rund 36 Millionen Pkw und Lkw zugelassen, sind es 1997 bereits 48,5 Millionen gewesen, ein sattes Plus von 35 Prozent. Ob sich derartige Zuwachsraten auch in Zukunft werden erreichen lassen, ist eher unwahrscheinlich, zumal die rasche Zunahme des Transitverkehrs zu einer weiteren Erhöhung der Verkehrsdichte vor allem auf deutschen Autobahnen führt. In jedem Fall wäre ein weiterer Ausbau des Fernstraßennetzes erforderlich, doch genau das will die neue rot-grüne Bundesregierung ganz offensichtlich nicht.

Das Problem der grundsätzlichen Diskrepanz zwischen den Lenkungs- und Fiskalzielen einer ökologischen Steuerreform durch eine ständige Anhebung der Steuersätze lösen zu wollen, wäre fatal. Denn wenn die Festlegung der Ökosteuern von den technischen Möglichkeiten zur Energieeinsparung abgekoppelt wird, gerät die Reform zum reinen Abkassiermodell. Das aber würde nicht nur in der Bevölkerung erheblichen Unmut hervorrufen und die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz in Frage stellen, sondern auch die heimische Wirtschaft strangulieren und damit Arbeitsplätze vernichten. Zumindest auf kurze Sicht sind deshalb einer ökosteuerfinanzierten Senkung der Sozialversicherungsbeiträge enge Grenzen gesetzt – immer vorausgesetzt, die Festlegung der Steuersätze orientiert sich am Prinzip der wirtschaftlichen Vernunft.

Der Ausstieg aus der Kernenergie kann teuer werden

Doch gerade hier sind Zweifel angebracht, weckt doch die scheinbar große Ergiebigkeit von Umweltabgaben erhebliche Begehrlichkeiten. So zum Beispiel bei den Grünen, die das Ökosteueraufkommen laut Parteiprogramm nicht nur für die Senkung der Lohnnebenkosten, sondern auch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Subventionierung regenerativer Energien verwenden wollen. Und auch der von der Koalitionären beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie kann teuer werden. Ganz abgesehen einmal davon, daß die Zweckentfremdung der Einnahmen aus Ökosteuern das aus Akzeptanzgründen wichtige Prinzip der Aufkommensneutralität verletzt, lassen sich diese kostspieligen Pläne nur verwirklichen, wenn die Ökosteuerschraube ständig fester angezogen wird. Die Umweltorganisation Greenpeace hält es längerfristig gesehen sogar für denkbar, auch erneuerbare Energien zu besteuern, um die voraussehbaren Einnahmeverluste auszugleichen. Völlig zu Recht vertritt der Ökonom Klaus W. Zimmermann deshalb die Auffassung, "daß große Ökosteuern vermutlich ebenso wenig politisch beherrschbar sein werden wie das Instrument der öffentlichen Verschuldung". Eine ökologische Steuerreform aber, die Deutschlands Unternehmen unter dem Strich durch Umweltabgaben also stärker belastet als durch die Senkung der Lohnnebenkosten entlastet, gefährdet die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Betriebe und schwächt den Standort Deutschland.

Doch selbst wenn eine ökologische Steuerreform insgesamt aufkommensneutral gestaltet würde, blieben ihre ökonomischen und beschäftigungspolitischen Effekte ungewiß. Denn die Verschiebung der Belastung von den Personal- hin zu den Energiekosten wirkt sich auf die einzelnen Branchen höchst unterschiedlich aus und wird im Ergebnis erhebliche Strukturverschiebungen zur Folge haben. Neben der Mineralölverarbeitung und der Stromwirtschaft werden vor allem energieintensive Wirtschaftszweige wie die Chemie, die Aluminium- und Stahlproduktion sowie der stark mittelständisch gepräge Sektor Steine und Erden Leidtragende steigender Ökoabgaben sein. Denn diese Industrien, in denen etwa 2,5 Millionen Arbeitnehmer oder zehn Prozent aller Beschäftigten tätig sind, erfahren auch bei einer gleichzeitigen Senkung der Lohnnebenkosten nicht die Entlastung, wie sie für eine Kompensation steigender Umweltabgaben erforderlich wäre. Ausgehend von dem im Jahre 1995 vorgelegten Ökosteuer-Modell des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hätten beispielsweise Deutschlands Chemieunternehmen für einen Zeitraum von 15 Jahren zusätzliche Energiekosten in Höhe von 27 Milliarden Mark zu tragen, denen auf Personalkostenseite Einsparungen von gerade vier Milliarden Mark gegenüberstehen. Bereits im ersten Jahr wäre der Saldo mit rund 600 Millionen Mark deutlich negativ. Hintergrund dieser ernüchternen Bilanz ist, daß sich der Energieverbrauch nicht kurzfristig verringern läßt. Diese Feststellung gilt für alle energieintensiven Branchen gleichermaßen. Denn der hohe Stand, den der industrielle Umweltschutz in Deutschland bereits heute erreicht hat, macht gemessen an den technischen Möglichkeiten nur noch eine minimale zusätzliche Reduzierung des Emissionsvolumens möglich, wobei die Ausschöpfung dieses geringen Sparpotentials erhebliche Grenzkosten aufwirft. Es besteht deshalb die große Gefahr, daß Unternehmen mit hohem Energiebedarf ihre Produktionsstandorte konsequent ins Ausland verlagern werden – eine Entscheidung, die mit Blick auf EU-Europa durch die Euro-Einführung noch erleichtert wird. Das aber würde indirekt auch eine Branche betreffen, die eigentlich als der Hoffnungsträger grüner Wirtschaftspolitik gilt: die Umweltschutzindustrie. Denn wenn sich energieintensive Betriebe im Ausland ansiedeln und dort unter der Maßgabe deutlich geringerer Ökostandards produzieren, wird moderne deutsche Umwelttechnik kaum noch verkäuflich sein.

Ein weiterer Verlierer der ökologischen Steuerreform ist die hochproduktive Automobilindustrie, die nicht nur durch steigende Energiekosten, sondern auch die Erhöhung der Mineralölsteuer und die geplanten Einschnitte beim Fernstraßenbau in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen trifft die Branche, von der in Deutschland immerhin jeder siebte Arbeitsplatz abhängt, in einer konjunkturell überaus labilen Phase. Vor allem auf dem heimischen Markt geht der Absatz bereits seit einigen Monaten erkennbar zurück. Allein im September mußte gegenüber dem Vorjahresmonat ein Minus von zwölf Prozent hingenommen werden. Die ab 1.1.1999 steigenden Benzinpreise dürften die Kaufbereitschaft der Verbraucher zusätzlich dämpfen. Da es wenig wahrscheinlich ist, daß die Automobilunternehmen ihre durchrationalisierten Herstellungsprozesse wieder auf Handarbeit umstellen werden, um den Kostenbelastungen steigender Energiesteuern zu entgehen, ist auf mittlere Sicht auch in dieser Branche mit Standortverlagerungen und Arbeitsplatzverlusten zu rechnen.

Letztlich wird vor allem den exportorientierten Unternehmen auch keine andere Wahl bleiben, denn sie können steigende Energiekosten aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb nicht oder nur begrenzt auf den Endverbraucher abwälzen. Und mit der Einführung des Euro wird der Deutschen Bundesbank die Möglichkeit genommen, inländische Preiseffekte als Folge von Ökosteuern durch Abwertungen der D-Mark zu neutralisieren.

Experten warnen vor einer "Deindustrialisierung"

Die eigentlichen Gewinner einer ökologischen Steuerreform sind Wirtschaftssektoren mit hohem Arbeitseinsatz wie Banken, Versicherungen, Bahn und Postdienste sowie personenbezogene Dienstleistungen. Im Ergebnis findet also eine Verlagerung hin zu energieextensiven und arbeitsintensiven Produktionsstrukturen statt, die idealtypischerweise durch die steigende Belastung der energie- und kapitalintensiven Branchen bezahlt werden soll. Experten warnen denn auch vor der drohenden "Deindustrialisierung" und einer "technologischen Verarmung" Deutschlands.

Dennoch soll der Beschäftigungssaldo einer ökologischen Steuerreform nach Meinung ihrer Befürworter positiv sein. Berechnungen des DIW zufolge könnten bei konsequenter Realisierung des Konzeptes in den kommenden zehn Jahren 600.000 neue Stellen vor allem im Dienstleistungssektor geschaffen werden. Den optimistischen Prognosen des DIW liegen allerdings extrem idealisierte Annahmen zugrunde, die mit den tatsächlichen Realitäten kaum in Einklang zu bringen sind. So werden Produktionsverlagerungen ins Ausland modellmäßig ebenso ausgeschlossen wie höhere Lohnforderungen der Gewerkschaften als Folge steigender Verbraucherpreise. Auch die Folgen der Euro-Einführung werden schlicht ignoriert.

Zu ganz anderen Ergebnissen kommt eine Anfang 1996 vorgelegte Untersuchung des Financial & Economic Research International (Feri). Das renommierte Institut geht davon aus, daß eine nationale Energieverteuerung in Deutschland zusätzliche Beschäftigungseinbußen von einigen hunderttausend Stellen zur Folge haben würde. Die Feri-Studie kommt deshalb zu dem Schluß, daß die behauptete "double dividend" von Ökosteuern – also mehr rentable Arbeitsplätze und verbesserter Umweltschutz – als widerlegt gelten muß. Diese Einschätzung wird auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geteilt. Der Industrieverband rechnet nach Bekanntwerden der rot-grünen Ökosteuer-Pläne mit dem Wegfall von mindestens 300.000 Arbeitsplätzen in Deutschland.

Will man die Gefahr eines Anstiegs der Erwerbslosigkeit als Folge einer ökologischen Steuerreform veringern, dann müssen zumindest befristete Befreiungstatbestände für umweltintensive Branchen zugelassen werden. Diese Forderung konnte Neukanzler Schröder in den Koalitionsverhandlungen mit dem grünen Koalitionspartner auch durchsetzen – wohl wissend, daß diese Ausnahmen sowohl den ökologischen Nutzen als auch die finanzielle Ergiebigkeit von Umweltsteuern deutlich mindern. Doch Schröder bleibt schon aus Gründen der Parteiräson keine Wahl. Denn die von einer ökologischen Steuerreform besonders nachteilig betroffenen Industrien sind regional vor allem in sozialdemokratisch regierten Bundesländern konzentriert. Beispielsweise ist von den über 500.000 Beschäftigten der chemischen Industrie fast jeder Dritte in Nordrhein-Westfalen tätig. Auch die Stahl- und Kohlewirtschaft ist schwerpunktmäßig in diesem Bundesland angesiedelt. Das Rheinisch-Westfälische Institut (RWI) geht denn auch auf Basis einer progressiven Energieabgabe nach dem Modell des DIW allein für Nordrhein-Westfalen von negativen Arbeitsplatzeffekten in einer Größenordnung von 150.000 Stellen aus. Im Rot-Grün regierten Hessen würden 49.000 Jobs wegfallen, in Rheinland-Pfalz 35.000 und am Automobilstandort Niedersachsen 34.000. Die aus einer ökologischen Steuerreform resultierenden Arbeitmarktprobleme wären also regional höchst unterschiedlich verteilt. Das aber birgt erheblichen sozialen und damit politischen Sprengstoff in sich, der durch die relativ geringe Mobilität deutscher Arbeitnehmer noch verschärft wird.

Meint man es mit der ökologischen Steuerreform ernst, dann können Ausnahmeregelungen allerdings nicht ewig aufrechterhalten werden. Denn in der langfristigen Perspektive ist die Verdrängung von Industrien mit hohem Energieverbrauch keine unangenehme Begleiterscheinung, sondern eine gewollte Folge des Ökokonzeptes. "Umweltintensive Arbeitsplätze" kann es, so der Sachverständigenrat für Umweltfragen, "in einer am Leitbild einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung ausgerichteten Wirtschaft nicht geben". Es stellt sich allerdings die Frage, ob es sich eine moderne Industrienation auf Dauer wird leisten können, auf so wichtige Erzeugnisse wie Stahl, Aluminium oder Zement zu verzichten.

Thomas Brandis schrieb in der JUNGEN FREIHEIT 44/98 den Hintergrund-Beitrag "Der soziale Bluff mit der Zuwanderung".


 
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