© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Berlin: Türkenverbände protestieren gegen Urteil
Islam-Lehrer gesucht
Gerhard Quast

Der Widerstand unter den Türken in Berlin wächst. Immer mehr islamische Verbände äußern sich kritisch über die Anerkennung der Islamischen Föderation als Träger islamischen Religionsunterrichts durch ein Berliner Gericht. In dem Urteil der 7. Kammer des Oberverwaltungsgerichts (OVG) von vorvergangener Woche hieß es, für die Erteilung von islamischem Religionsunterricht reiche es aus, daß die Islamische Föderation Berlin (IFB) "sich zur Weltreligion Islam mit seinen allgemeinverbindlichen Quellen des Korans und der Sunna" bekenne. Es könne nicht verlangt werden, daß sich die muslimische Vereinigung auf eine Glaubensrichtung festlege (JF 47/98).

Vergangene Woche haben sich nun in Berlin 15 türkische Vereine sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in einer gemeinsamen Erklärung strikt dagegen ausgesprochen, daß der IFB das Recht eingeräumt werde, an staatlichen Schulen Islamunterricht zu erteilen. Die Islamische Föderation sei eine "islamistische politische Organisation" und somit ungeeignet, heißt es in der Erklärung.

Die Unterzeichner kritisieren außerdem den Senat von Berlin und die Senatsschulverwaltung, "die unsere seit Jahren vorgetragenen Warnungen und Vorschläge nicht berücksichtigte und vor der juristischen keine politische Lösung vorlegen konnte". Gleichzeitig betont das Bündnis den grundsätzlichen Anspruch auf islamischen Religionsunterricht für die in Berlin lebenden etwa 30.000 Schüler muslimischen Glaubens. "Solange Kindern katholischen, protestantischen und jüdischen Glaubens innerhalb der Berliner Schulen Religionsunterricht erteilt wird, fordern wir weiterhin, daß auch die Möglichkeit geschaffen werden muß, innerhalb der Schule den Islam zu erlernen." Unterzeichnet haben diese Erklärung unter anderem Dachverbände wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB), aber auch Organisationen der in der Türkei diskriminierten Aleviten, der Türkische Elternverein in Berlin-Brandenburg, die Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime, die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung (TDU) in Berlin-Brandenburg, der Verein zur Förderung des Gedankenguts von Atatürk in Berlin (ADD-B) sowie der Verein Türkischer Dönerhersteller in Europa (ATDID). Während die Islamische Föderation allenfalls eine "verschwindende Minderheit" unter den Berliner Muslimen repräsentiere, so der Geschäftsführer des Türkischen Bundes, Kenan Kolat, vertreten die 15 unterzeichnenden Vereine und Verbände nach eigenen Angaben über 90 Prozent der türkischen Bevölkerung.

Um zu verhindern, daß islamischer Religionsunterricht in Zukunft in die Hände islamischer Fundamentalisten fällt, hat der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir an den neuen Kulturstaatsminister Michael Naumann appelliert, ein Konzept für den Islamunterricht an deutschen Schulen zu entwickeln. Naumann solle gemeinsam mit der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck (Bündnisgrüne) sowie den Kultusministern der Länder ein solches Papier erarbeiten, erklärte der türkischstämmige Politiker in einem Zeit-Interview. Özdemir nannte es außerdem einen Skandal, daß es in der Bundesrepublik keinen deutschen Lehrstuhl für Islam-Lehrer gebe. "Wir brauchen Islam-Lehrer, die an deutschen Universitäten ausgebildet wurden und auch auf Deutsch unterrichten." Nur so könne sich ein "deutscher Islam" herausbilden.


 
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