© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Mitschuld der Türkei
von Heinrich Lummer

Ein Terrorist ist, wer sich terroristischer Methoden bedient, um seine Ziele zu erreichen. Deshalb kann Abdullah Öcalan ein Terrorist genannt werden. Terroristen versuchen stets ihre Handlungen zu legitimeren. Das hehre Ziel verlange eben diese Methoden, wenn andere nicht möglich sind, weil die Weltöffentlichkeit zuweilen nur so auf Probleme aufmerksam wird. Der Terrorismus der PKK hat ein Stück Legitimation, weil die Türkei sich stets geweigert hat, legitime Rechte der Kurden im Rahmen einer politischen Lösung zu akzeptieren. Deshalb heißt das Problem nicht allein Öcalan, sondern er symbolisiert einen Teil der türkischen Probleme. Doch mehr als alle kostspieligen militärischen Aktionen, die für die Wirtschaftskrise der Türkei mitverantwortlich sind, ist die Kaltstellung Öcalans ein großer Erfolg für die türkische Regierung.

Nun liegt der schwarze Peter in Rom. Die Offerte der Türkei, wegen Öcalan die Todesstrafe abzuschaffen, zeigt, was ihnen der Mann wert ist. Aber das sagt in einem Land Türkei nicht viel, in dem Menschen ohne Prozeß und Urteil zu Tode kommen. Ein faires Verfahren ist eben dort nicht zu erwarten. Auch muß man am guten Willen eines Landes zweifeln, das sich seit Jahrzehnten trotz seiner Mitgliedschaft im Europarat geweigert hat, die Todesstrafe abzuschaffen. Wer sie wegen eines einzelnen Mannes zu beseitigen bereit ist, kann sie wegen eines anderen wieder einführen. Auf die Anklagebank gehört zudem nicht nur Öcalan, sondern auch der türkische Staat, der legitime Volksgruppenrechte stur verweigert. Insofern ist Rom in einer Klemme. Für die Türkei hat Öcalan einen hohen Stellenwert. Die Türkei wird kein Druckmittel auslassen, um die Auslieferung zu erreichen. Reaktionen frustrierter Kurden in mehreren Ländern Europas könnten die Folge sein. Öcalan an die Türkei auszuliefern, ohne daß die Türkei Schritte auf dem Wege zu einer politischen Lösung des Problems erkennen läßt, wäre moralisch schwer zu vertreten.

Für Deutschland hat die Frage noch eine besondere Dimension. Ein Öcalan-Prozeß hierzulande würde den türkischen Auslieferungswunsch nur aufschieben. Im Hinblick auf die große Zahl der Türken und türkischen Kurden in Deutschland müßte erneut mit Konflikten zwischen diesen Gruppen und Gewalt in Deutschland gerechnet werden. In unserem nationalen Interesse kann man einen Prozeß gegen Öcalan in Deutschland nicht von vornherein wünschen. Und das Grundsätzliche sollten wir gelegentlich anderen europäischen Ländern überlassen.


 
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