© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
CDU: Auf dem langen Marsch durch die Opposition
Schwammiges Profil
Hans-Georg Münster

Der Europa-Visionär Helmut Kohl hat die CDU in die Niederlage geführt, Wolfgang Schäuble soll die Christenunion jetzt therapieren. Eine Therapie hat der 56jährige neue CDU-Chef nicht, allenfalls eine Art "Weiter so".

"Unser Koordinatensystem stimmt, es wird nicht verschoben, nicht nach links, nicht nach rechts, nicht nach Süd, nicht nach Nord, nicht nach Ost, nicht nach West, nicht nach oben, nicht nach unten. Dazu gibt es nach der Wahl so wenig Anlaß wie vor der Wahl. Die Union ist strukturell mehrheitsfähig." Das war Schäubles zentrale Botschaft auf dem CDU-Bundesparteitag in Bonn, auf dem die Partei der Öffentlichkeit weismachen wollte, sie nehme die Herausforderung der Opposition an und verjünge sich mit einem neuen Vorstand.

Schäubles Amtsbeginn als Nachfolger Helmut Kohls begann zwar mit einem sehr guten Ergebnis von 93,4 Prozent der Delegierten-Stimmen, was mehr ausdrückt als die übliche Nur-So-Zustimmung, wenn es ohnehin keine Alternative gibt. Der neue CDU-Chef stellte aber einen möglicherweise folgenschweren Irrtum in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen: "Daß das linke Lager in Deutschland in mindestens drei Parteien zerfällt, das ist für die Linke kein Vorteil, sondern ein Nachteil." Da spricht jemand, der den Kreuther Geist am liebsten in der Flasche weiß und immer noch gegen die weiland von Franz Josef Strauß angezettelte Trennung der Unionsparteien wettert – nur daß Schäuble seine Anti-Kreuth-Einstellung jetzt in das linke Lager hinüberinterpretiert.

Doch Gysis/Biskys PDS, Fischers/Trittins Grüne und Schröders/Lafontaines SPD sind keine Schwesterparteien, sondern unterschiedliche linke Kräfte aus verschiedenen Milieus. Die größte linke Partei, die SPD, ist allzeit mit den anderen beiden koalitionsbereit und koalitionswillig; notfalls natürlich mit der FDP (solange es die noch gibt) und zuallerletzt auch mit der CDU. Die strukturelle Mehrheitsfähigkeit, die Schäuble bei der Union sieht, liegt statt dessen im linken Lager.

Schäubles analytische Irrtümer wiegen schwer: Seine CDU als ,,breites Bündnis christlich-demokratischer und christlich-sozialer Kräfte, liberal und konservativ, ökologisch, sozial und marktwirtschaftlich, national und europäisch" wird so nicht funktionieren können. Vermutlich wird es im CDU-Präsidium nie begriffen werden: Man kann zwar für Blasmusik und Trachten sowie für den Euro und die EU-Kommission sein, aber nationale Positionen und die unkritische proeuropäische Haltung der CDU sind beim besten Willen nicht unter einen Hut zu bringen.

Natürlich wird jetzt die Niederlage der ehemaligen CDU-Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth bei dem Parteitag als Signal gegen zu viel öko-emanzipatorisches Denken in der Partei gewertet. Mit Frau Süssmuth in führender Position dürfte die CDU über die Jahre auch mehr Stimmen verloren haben, als die stets mit erhobenem Zeigefinger dozierende und durch die Dienstwagenaffäre unglaubwürdige Politikerin aus dem feministischen Lager hinzugewonnen hat.

Doch eine neue Frau Süssmuth reift bereits heran: Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan, Schäubles Geheimtip, wurde mit knapp 90 Prozent zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Seitdem die Nachrichtenagentur dpa bundesweit bekanntmachte, daß Frau Schavan einer türkischen Lehrerin das Tragen des Kopftuches verboten hatte, gilt die Politikerin als "konservativ". Dieser Narretei scheinen auch west- und norddeutsche CDU-Delegierte auf den Leim gegangen zu sein; anders ist das überdurchschnittliche Ergebnis für die Linkskatholikin, die wie Süssmuth aus dem prinzipiell romkritischen Zentralkomitee der deutschen Katholiken stammt, nicht zu erklären.

Dabei hatte Frau Schavan nichts gegen Kopftücher, das widerspräche auch ihrer multikulturellen Grundeinstellung. Im Stuttgarter Landtag hatten einige CDU-Parlamentarier gedroht, mit den Republikanern für ein Kopftuch-Verbot zu stimmen. Darauf machte Frau Schavan einen Rückzieher. Und Rita Süssmuth hätte die Theologin gewiß nicht zur Bundesgeschäftsführerin der Frauen-Union gemacht, wenn die Übereinstimmung nur gering wäre.

Die übrige Führung ist schnell abgehakt: Schäubles mit Mühe gewählter Stellvertreter Norbert Blüm ist ein alter Artist auf der politischen Bühne, der noch nicht begriffen hat, daß seine Zeit abgelaufen ist. Er bekommt Gnadenbrot und Stimmrecht im Präsidium. Von zweiten Vize Volker Rühe weiß man nur, daß er Macht ausüben will, und von dem niedersächsischen "Jungen Wilden" Christian Wulff ist bekannt, daß ihm der Versuch einer Machtübernahme im Leineschloß bereits zweimal mißlang. Wie unfähig die Partei zur Selbstkritik ist, zeigt die Abwahl von Klaus Escher aus dem Vorstand: Der scheidende Junge-Union-Chef war der einzige, der eine öffentliche Diskussion über den Zustand der Partei und die Defizite des damaligen Vorsitzenden Kohl begann.

Schäuble, dem völlig grundlos nachgesagt wird, er könne Strategien entwickeln und durchziehen, verlegt sich schon wieder auf die Taktik: Völlig ohne Grund zettelte er eine Debatte über schwarz-grüne Bündnisse an, die die Grünen außerhalb der Kommunalpolitik kaum wollen und die nur konservative Wähler abschreckt. Als der neue CDU-Boß merkte, daß er damit nicht besonders gut ankam, ruderte er auf dem Parteitag zurück, um wenige Tage später seine neue Generalsekretärin Angela Merkel vorzuschicken, die erneut über Bündnisse mit den Grünen auf Länderebene schwadronierte.

Mit einem schwammigen Profil, nur auf baldige Rückkehr zur Macht bedacht, kommt die CDU aus ihrem Tief nicht heraus. Vor Schäuble liegt ein langer Marsch durch die Opposition, und es ist nicht sicher, daß er ihn zu Ende führt.


 
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