© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Vor 100 Jahren: Kaiser Wilhelms Besuch im Heiligen Land
Die Preußen in Palästina
Markus Schleusener

Gott hat in Gnaden uns verliehen, daß wir in dieser aller Christen heiligen Stadt, an einer durch ritterliche Liebesarbeit geweihten Stätte das dem Erlöser der Welt zu Ehren errichtete Gotteshaus haben weihen können." Mit diesen Worten leitete Kaiser Wilhelm II. am 31. Oktober 1898 die feierliche Eröffnung der Erlöserkirche in Jerusalem ein. Vor 100 Jahren wurde durch den Bau der Erlöserkirche die protestantische Anwesenheit an der Schnittstelle der großen drei Weltreligionen hergestellt.

"Das Bewußtsein der Schmach, daß das Heilige Land in den Händen der Ungläubigen sich befand, machte den Gedanken, es wieder zu gewinnen, zum gottseligsten. Unzählige Scharen nahmen das Kreuz und zogen in den heiligen Krieg. Jerusalem wurden von den Christen erobert und das christliche Patriarchat wiederhergestellt", teilt uns ein zeitgenössischer Bericht in Hinblick auf die Kreuzzüge des Mittelalters mit. Im 19.Jahrhundert gingen die Bemühungen, der evangelischen Kirche in Jerusalem Präsenz zu verschaffen, auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zurück. Weil der Einfluß des preußischen Königreiches allein damals noch zu gering war, konnte dies erst 1841 im Bündnis mit der anglikanischen Kirche verwirklicht werden. Ein deutsch-englisches Bistum sollte errichtet werden. Auch die politischen Voraussetzungen hatten sich Mitte des 19. Jahrhunderts verbessert, nachdem 1840 die Türkei Palästina von Ägypten zurückerhalten hatte. 1852 wurde in Deutschland der Jerusalem-Verein gegründet, sechs Jahre später gab es erste deutsche Gottesdienste in englischen Räumlichkeiten. Während seiner Orientreise 1869 erwarb der Kronprinz und spätere Kaiser Friedrich IV. das ehemalige Grundstück des Johanniterordens. 1886 wurde aus Mitteln der Krone die Jerusalem-Stiftung ins Leben gerufen, allerdings wurde auch im Zuge der Verschlechterung des deutsch-britischen Verhältnisses das Bündnis mit der anglikanischen Kirche aufgelöst.

Mit der Reiseplanung hatte seine Majestät das Londoner Reisebüro Thomas Cook & Son beauftragt. Schon Wochen vorher plante man in Berlin Details wie die Anschaffung von Tropenuniformen. Und schließlich begutachtete eine achtköpfige deutsche Gesandtschaft unter Leitung des Oberstallmeisters Graf von Wedel alle Ortschaften und Wege der Reiseroute von Konstantinopel nach Palästina. Auch die türkischen Behörden bereiteten sich auf den hohen Besuch vor. Wege und Straßen mußten ausgebessert werden, und Militärkapellen mußten die deutsche Nationalhymne einstudieren. "Derartige umfassende Vorbereitungen lassen sich im Orient aber nicht so schnell bewältigen, wie bei europäischen, hochzivilisierten Verhältnissen. Welche Arbeit allein verlangten die Fahrstraßen, die seit der Römerzeit im Verfall sind?", berichtet ein anderer fragender Zeitgenosse des Kaisers 1899.

Am 13. Oktober schifften sich der Kaiser und seine Begleiter in Venedig auf der "Hohenzollern", der kaiserlichen Yacht, ein. Diese Reisegruppe umfaßte immerhin mehrere hundert Menschen " vom hochrangigen Diplomaten bis zum kaiserlichen Kellner. Am 17. Oktober trafen die "Hohenzollern" und ihre beiden Begleitschiffe, Hela und Hertha, in Konstantinopel ein, wo es zu einer längeren Begegnung zwischen Wilhelm und dem Sultan kam. Ein Reiseberichterstatter beschreibt die Ankunft im heutigen Istanbul: "Auf allen (Befestigungen) wehte – eine besondere Ehrenbezeugung – neben der türkischen die deutsche Flagge. Die Truppen standen in Parade auf den Wällen, sie riefen den türkischen Kaisergruß; ihre Musikkorps spielten das "Heil Dir im Siegerkranz".

Zu Ehren des majestätischen Besuchs hatte der Sultan nicht nur die Mauer der Stadt ausbessern sondern sogar das Jaffa-Tor vergrößern lassen. Und die ganze Jerusalemer Altstadt wurde pompös für die hohen Gäste vorbereitet. Fahnen und Transparente in türkischer, hebräischer und deutscher Inschrift säumten die engen Gassen. Für die deutschen Gäste wurde eine Tribüne für 600 Leute errichtet. Die Kaiserreise glich einem Gipfeltreffen unserer Tage. Minutiöse Vorbereitung und strengste Sicherheitsmaßnahmen waren erforderlich. Heute wie damals waren Personenschützer unerläßlich: "…nur hie und da sah man zwischen den unruhigen, erregten, mit den Händen klatschenden Massen wie feste, dunkle Pfähle die Berliner Geheimpolizisten mit ihren braven urpreußischen Wachtmeister- und Sergeantengesichtern stehen, im Berliner Zivilanzug mit dunklem Filzhut, im Knopfloch das Eiserne Kreuz – alles eher als der Eindruck der Heimlichkeit."

Am 31. Oktober, dem Reformationstag, erfolgte dann die feierliche Einweihung, an der außer dem Kaiser und seinen Adjutanten, Generälen und Beamten natürlich auch eine Reihe geistlicher Abgesandter aus aller Welt teilnahmen: Vertreter der evangelischen Kirchen aus Schweden, Norwegen, Holland, Ungarn, der Schweiz, Italien, selbst der deutsch-amerikanische Synode von Nord-Amerika. Auch die orientalischen Gastgeber erschienen zahlreich beim festlichen Einzug durch das Jaffa-Tor, wie ein damaliger Beobachter zu berichten weiß: "…voran türkische Kavallerie, türkische Paschas und Offiziere, Beduinenhäuptlinge in ihren malerischen Trachten und mit ihren langen Lanzen, die goldglänzenden türkischen Offiziere, unter ihnen der unermüdlich thätige und fürsorgende Botschafter des Sultans in Berlin. Die Menschen grüßen mit den Händen winkend und sich verneigend – die Muhammedaner ehrerbietig zur Erde blickend, die Juden sich unruhig auf und ab beugend mit einschmeichelndem, stechendem Blick; an einzelnen Stellen erklingen deutsche ‘Hochs’ und ‘Hurras’".

Vor ihrer Abreise Anfang November besuchte das deutsche Staatsoberhaupt noch mehrere Ziele in der Umgebung wie die Stadt Jericho und den Tempelberg. Er empfing auch eine Gesandtschaft jüdischer Einwanderer unter der Leitung von Dr. Herzl, nach dem heute sogar eine Kleinstadt nördlich von Tel Aviv benannt ist. Kaiser Wilhelm II. ließ die Abgesandten wissen, daß er das Anliegen der jüdischen Siedler unterstütze, sofern nicht die territoriale Integrität der Türkei dadurch in Frage gestellt würde. Die Zahl der Juden in Palästina hatte sich um die Jahrhundertwende auf etwa eine halbe Million rapide gesteigert. Aber bis zur Gründung des Staates Israel sollten noch weitere 50 Jahre vergehen.


 
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