© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Generation X: Abschied von den 68ern
Leugnen und totschweigen
Volker Kempf

"Warum ein Stein in der Schaufensterscheibe auch im nächsten Jahrtausend besser sein wird als ein Magengeschwür", erklärt der 25jährige Frank Winter unter gleichlautender Überschrift in dem von der "Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen" herausgegebenen Sammelband "Die 68er – Warum wir Jungen sie nicht mehr brauchen". Die Jungen scheinen die 68er also deshalb nicht mehr zu brauchen, weil sie schon selber Steine werfen können.

Doch keine Sorge, die Autorinnen und Autoren der 13 Beiträge sind mehrheitlich nicht ganz so radikal. Ihre Herzen schlagen eher mitte-links, und zwar für rot-grün. Da liegt Claus Leggewie in seinem Nachwort durchaus richtig. So ist Jörg Tremmel, Gründer der "Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen", die als Herausgeberin des Readers fungiert, dagegen, die Druckerei der jungen freiheit anzuzünden. Eine andere Meinung zu vertreten, als sie der eigenen Mitte-Links-Gesinnung entspricht – da ist Tremmel gnädig –, soll in der Berliner Republik möglich sein.

Nach entsprechenden Beiträgen grüner und sozialdemokratischer Jungpolitiker, deren "gesellschaftliches Problem-Blabla" (Gohl) sich über 119 Seiten hinzieht, folgen auch geistreiche, bisweilen sehr klarsichtige Aufsätze – immerhin drei an der Zahl, wenn wir hier das gut leserliche Mittelmaß einmal außen vor lassen.

Zwei Mädchen, Natalie (18 Jahre) und Sue (16 Jahre), beschweren sich über das von den 68ern geschaffene Diskussionsklima, das handfeste Probleme mit nicht integrierten Türken – zum Beispiel in der Hauptstadt – einfach ausklammere. In ihrem Aufsatz "In Berlin lernt man Türken hassen!" macht Natalie den 68ern den Vorwürf, "daß sie die Kulturkonflikte zwischen jungen Türken und deutschen Mädchen leugnen oder totschweigen. Die sexuelle Belästigung deutscher Mädchen durch islamische Ausländer ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Sie ist in ihrer Schwere und Systematik nicht zu vergleichen mit gelegentlich vorkommender sexueller Belästigung durch deutsche oder nicht- islamische ausländische Jungs". Sie kritisiert weiterhin, daß die 68er Lehrer "solche Fälle systematisch verharmlosen, den Opfern aus ausländerfreundlichen Gründen keinen Beistand leisten (...); daß sie bewußt die Probleme vertuschen, um ihre Vision von der multikulturellen Gesellschaft nicht zu gefährden."

Was die beiden Mädchen wollen ist, daß über die von Ausländern ausgehende Gewalt gesprochen wird, "allerdings ohne Diskriminierung und Hetze".

Christopher Gohl, Student der Politikwissenschaft in Washington D. C., wirft seiner Elterngeneration vor, alles was die Aufbaugeneration erarbeitet habe, wohlfahrtsstaatlich verpraßt zu haben. Nun sei es an der Zeit, aus dem neoliberal verschrieenen US-Amerika zu lernen. Der 23jährige Student der Politikwissenschaft hat aber auch Worte des Dankes: "Liebe Mütter und Väter, ich danke Euch für ein ungezwungeneres Klima in unserer Gesellschaft, für mehr Toleranz. Aber das wars auch schon."

Über die Frage, welche Erziehung besser sei, die autoritäre der Fünfziger-Jahre-Generation oder die antiautoritäre der 68er, sieht der 18jährige Kinderrechtler Benjamin Kiesewetter als eine Scheinfrage an. Denn Erziehung sei – so oder so – Erziehung und damit kaum besser als Volkserziehung, also Volkspädagogik oder Demagogik. Seine Zauberformel lautet Begleitung statt Erziehung. Kiesewetters Beitrag "Die 68er und ihre Kinder" ist ein psychologisch erstaunlich versiertes Plädoyer für alle, die gütige Eltern oder gute Lehrer sein möchten.

Wo sich die Vertreter der "Generation X" parteipolitisch zu Wort melden, haben sie gegen Kohl ihre Stimme erhoben. Gewählt wurden mittlerweile Schröder und seine Partei. Auch die Alternativpartei wurde gewählt, weniger weil sie einfach nur links ist, sondern weil sie zu linken Positionen mitunter auch Distanz gewonnen hat.

Genau dieser Entwicklung folgen mehrheitlich die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes, die überwiegend dem rot-grünen Milieu zuzurechnen sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (Hrsg.): Die 68er – Warum wir Jungen sie nicht mehr brauchen. Kore, Freiburg im Breisgau 1998. 318 Seiten, 24,80 Mark; (http://www.srzg.de).


 
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