© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Extremismus und Demokratie: Welche Verfassung ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes schützt
Ein sanfter Totalitarismus
Josef Schüsslburner

Für den Sonderweg Bundesrepublik, von einer Zeitschrift des freien Westens als German way of democracy beschrieben, es ist vor allem charakteristisch, daß interne Geheimdienste, "Verfassungsschutz" genannt, für geeignet gehalten werden, allgemein publizierte Zeitschriften darauf hin "geheim" zu überprüfen, ob in ihnen verfassungsfeindliches Räsonnement gepflegt wird. Dieser für eine westliche Demokratie doch sehr eigenartige Vorgang wird dadurch noch etwas absonderlicher, daß Mitarbeiter der entsprechenden Bundesbeobachtungsbehörde im Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeit unter Berufung und Bezugnahme auf ihre dienstliche Funktion Veröffentlichungen tätigen, mit denen sie den Kreis der als Gedankentäter in Erscheinung tretenden (potentiellen) Verfassungsfeinde erheblich über den Bereich hinausdehnen, welcher amtlich in Verfassungsschutzberichten geächtet wird. Es ist anzunehmen, daß die Veröffentlichungspraxis von Verfassungsschutzmitarbeitern im Auftrag ihres Dienstherrn erfolgt, da dieser sonst gegen seine Mitarbeiter wegen Verletzung des beamtenrechtlichen Mäßigungsgebotes im Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeit disziplinarrechtlich vorgehen müßte. In dieser Veröffentlichungspraxis liegt ein protototalitäres Umfunktionieren des Grundrechts der freien Meinungsäußerung zum Instrument staatlicher Machtausübung vor, wie dies allerdings für die Bundesrspublik mit ihrem parteienstaatlich kontrollierten Rundfunksystem generell kennzeichnend ist. Durch die "Flucht in das Privatrecht", das heißt unter Berufung auf die private Meinungsfreiheit, läßt auf diese Weise etwa der "rechte" CDU-Bundesinnenminister Kanther durch seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Armin Pfahl-Traughber konservative Publikationen als "bedenklich" anschwärzen, was die Verfassungsschutzämter offiziell letztlich aus parteitaktischer Rücksichtnahme noch nicht wagen, auch wenn bei der Bemerkung in sogenannten "Verfassungsschutzberichten", wonach eine "bedenkliche Erosion der Abgrenzung zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus" zu beobachten sei, wohl an Zeitschriften gedacht wird, welche unter "privater" Observation von Verfassungsschutzmitarbeitern stehen. Es sollte daher klar sein, daß es rechtlich gesehen bei der "privaten" Veröffentlichungstätigkeit von Gehemdienstmitarbeitern im Bereich ihrer amtlichen Tätigkeit nicht um einen "herrschaftsfreien Dialog" geht, sondern um die ideologische Ausübung politischer Macht.

Geheimdienstliche Pressesteuerung

Die gegen den politischen und weltanschaulichen Pluralismus und damit gegen die politische Freiheit gerichtete privat/öffentliche Herrschaftsstrategie der etablierten politischen Kräfte der Bundesrepublik entfaltet insbesondere dadurch ihre schleichende Wirkung eines "sanften Totalitarismus", weil dem Verdikt der "Verfassungsfeindlichkeit" oder der entsprechenden "Bedenklichkeit" als Prüfungsmaßstab nicht der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte und einigermaßen berechenbare Katalog der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde liegt.

Vielmehr operieren Verfassungsschutzmitarbeiter auf der Grundlage einer Verfassungsideologie, mit der die gemeinsamen Überzeugungen etablierter politischer Kräfte, welche in zentralen politischen Fragen mit der überwiegenden Volksmeinung im Widerspruch stehen, zu Verfassungswerten hochstilisiert werden. Letztlich wird dabei – erfolgreich – das grundlegende Vefassungsprinzip der ungehinderten Bildung politischer Oppositionen beeinträchtigt, welches kennzeichnend für Pluralismus und politische Freiheit ist.

Damit steht die politische Freiheit insgesamt auf dem Spiel, denn nur dann, wenn dem Volk die legitime Option zugestanden wird, u. U. nicht nur "rechts" (was ja gedanklich schon verboten ist), sondern auch "rechtsextrem" zu wählen (was im Zweifel dem Volk förmlich verboten würde), kann auf etablierte politische Kräfte in freiheitlicher der Druck der Volksherrschaft ausgeübt werden, in Übereinstimmung mit dem, was man als Volkswillen beschreiben kann, zu regieren. Politische Freiheit ist deshalb keine Frage der Quantität (Stimmenanteil für eine Partei), sondern der frei zur Verfügung stehenden Optionen. Rechtliche und ideologiepolitische Deklassierung einer politischen Minderheit, und mag sie noch so klein sein, diskriminiert daher das gesamte Volk.

Die gegen den politischen Pluralismus gerichtete Verfassungsideologie kann an der Kritik des Verfassungsschutzmitarbeiters Pfahl-Traughber speziell an der Zeitschrift Criticón besonders gut aufgezeigt werden. In einem von Kowalsky/Schroeder 1994 herausgegebenen Band "Rechtsextremismus – Einführung und Forschungsbilanz" veröffentlichte dieser Bedienstete der dem Bundesinnenminister unterstehenden Nachzensurbehörde gegen diese Zeitschrift einen Beitrag zum Thema "Brücken zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus".

Entgegen seiner eigenen Feststellung, die er widerwillig treffen muß, daß das "Brückenspektrum" im engeren Sinne nicht organisiert ist, d.h. als politische Größe nicht existiert, geht der VS-Bedienstete davon aus, daß es sich hierbei um eine politische Richtung, ein "Zwischenstück" als eigenständiges Phänomen handelt, das Gegenstand seiner und damit – so ist bei einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes anzunehmen- behördlichen "Beobachtung" gemacht werden müsse. Ein derartiges "Zwischenstück" als beobachtungsbedürftiges Phänomen wird durch Kollektivzurechnungen konstruiert, indem aus der Tatsache, daß ein möglicherweise problematisches Buch in einem konservativen Verlag veröffentlicht worden ist, einfach eine "Brücke" gesehen wird, etwa weil ein entsprechendes Buch ohne kritische Distanzierung des Verlages erschienen ist. Der VS-Beamte verkennt dabei, daß auch "Rechtsextremisten" nach dem vom Verfassungsschutz zu schützenden Grundgesetz das Recht der Meinungsfreiheit zusteht, welches in den "allgemeinen Gesetzen" und im übrigen allenfalls in Artikel 18 GG seine Grenze findet.

Der obrigkeitsstaatliche Eingriff in den Prozeß der freien politischen Meinungsbildung findet – auch durch "private" Meinungsäußerung von VS-Mitarbeitern "im Vorfeld" – dadurch statt, daß bei einer behördlich zu kontrollierenden/auszuschaltenden Zeitschrift ein "Rechtsextremist" ausgesucht wird, so daß man behaupten kann, in der entsprechenden Zeitschrift würden auch "Rechtsextemisten" veröffentlichen, um damit diejenigen als "Brücke" ausmachen zu können, die man "noch nicht", und vor allem noch nicht amtlich, entsprechend einstufen kann.

"Man" geht dann davon aus, daß "private" Andeutungen genügend Druck auf "Zivilcouragierte" ausüben, so daß sich diese vom "Umfeld" zurückziehen, damit eine "Brücke" immer "rechtsextremitischer" wird und eine entsprechende Zeitug dann offen behördlich als solche bezeichnet werden kann. Damit trauen sich nur noch Wagemutige, also nunmehr "wirkliche Extremisten" zu veröffentlichen, was dann die Zeitschrift in den demokratiefördernden Konkurs treiben soll. Personen, die dann in einem solchen "Umfeld" veröffentlicht haben, finden dann, obwohl sie "noch demokratisch" sind, kein Form mehr, es sei denn bei "Extremisten", womit für diese als "Nochdemokraten" widerwillig tolerierte Personen die Meinungsfreiheit gestorben ist – in der Bundesrepublik im "freiesten Staat der deutschen Geschichte"! Selbstverständlich wird bei dieser bundesdeutschen Herrschaftsmethode der Prozeß der freien politischen Willensbildung von Grund auf verkannt, welcher gerade darin besteht, daß auch "extreme" Ansichten zu Wort kommen können – es handelt sich hierbei um die berühmte "Freiheit des Andersdenkenden" –, weil mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen werden kann, daß sich im Prozeß der freien und pluralistischen Meinungsbildung – auch ohne obrigkeitsstaatliche Eingriffe – die extremen Standpunkte abschleifen und der legitime Kern, den man menschenwürdekonform auch inextremen Ansichten vermuten kann, aufgegriffen und zum Bestandteil des demokratischen, durch freiheitliche Partizipation legitimierten politischen Entscheidungsprozeßes gemacht wird.

Von dieser positiven Betrachtung der Meinungsfreiheit setzt sich die obrigkeitsstaatlich bevormundende Einstellung, die in der Veröffentlichung des VS-Bediensteten Pfahl-Traughber in der Zeitschrift Mut vom November 1996 zum Ausdruck kommt, deutlich ab. Dieser "Demokratiebeamte" (economist) veröffentlicht bewußt als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, um gegenüber seiner linken Klientel, welches im SPD- Überwachungsblatt blick nach rechts verankert zu sein scheint, deutlich zu machen, daß hier eine in ihrem Sinne "gewendete" Zeitschrift vorliege. Als Grund für den "grundlegenden Wandel" dieser Zeitschrift hebt der VS-Bedienstete staatliche Eingriffe in den Prozeß der freien Meinungsbildung, wie eine frühere Indizierung dieser Zeitschrift als "jugendgefährdend" durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften positiv hervor, wobei dieser Wandlungsprozeß dazu geführt habe, daß nunmehr der Leiter dieser Behörde – neben dem VS-Bediensteten als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes selbst – (quasi-amtlich) in der fraglichen Zeitschrift veröffentlicht und damit deutlich machen würde, daß bei Mut eine "demokratische", weil mit der Ideologie des Geheimdienstes kompatible Zeitschrift vorliege. Mit dieser Argumentation und seiner quasi-amtlichen Veröffentlichungstätgkeit, durch die er der Zeitschrift einen Persilschein ausstellt, trägt der VS-Bedienstete zu der Vermutung bei, daß in Deutschland (schon wieder) Zeitschriften behördlich gesteuert werden.

Um seine "Brücke" zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus zu bauen, schreckt der VS-Bedienstete, insbesondere bei Staatsbürgern, welche er sichtbar wegen ihrer freiheitlichen politischen Haltung nicht ausstehen kann, nicht vor den für Geheimdienste wohl typischen Unterstellungen zurück. Aus der Aussage des konservativen Publizisten Caspar von Schrenck-Notzing, wonach die ideologische Mehrheit wichtiger als eine parlamentarische sei, wird hurtig eine antiparlamentarische Einstellung insinuiert.

Diese im angeführten Aufsatz von 1994 vorgenommene Insinuation ist im Mut-Aufsatz 11/96 in offener Unverfrorenheit dahingehend radikalisiert worden, wonach diese Aussage eine eine "Herabwürdigung politischer Legitimität durch Wahlen und parlamentarischer Repräsentanz zugunsten der Erhebung geistiger Vorherrschaft zum politischen Rechtfertigungskriterium" beinhalte. Offensichtlich haben sich beim Verfassungsschutz noch nicht die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes herumgesprochen, wonach sich in einer parlamentarischen Demokratie die Meinungsbildung von unten nach oben, das heißt vom Volk zum Parlament und Regierung zu vollziehen habe, was bedeutet, daß die Meinungsbildung des Volkes (zu dem im übrigen auch der Menschenwürde berechtigte "Rechtsextremisten" gehören), an der Parteien – nicht aber Behörden wie der Verfassungsschutz – gemäß Art. 21 Abs. 1 GG "mitwirken", das entscheidende Element der Demokratie darstellt.

Rechtsstaatliche Verdachtsstrategie

Dabei sollte sich dann bei funktionierendem demokratischen Parlamentarismus schließlich eine geänderte politisch/ideologische Meinung des Volkes auch in parlamentarischen Entscheidungen niederschlagen, sei es weil die bestehenden Parteien eine innere Wandlung im Sinne der "ideologischen Mehrheit des Volkes" vollzogen haben, oder weil vom Volk Vertreter alternativer Parteien gewählt werden. Nichts anderes kann bei wohlwollender Betrachtung, zu der eine Behörde des Rechtsstaates verpflichtet ist, der vom VS-Bediensteten aufgespießte Satz verstanden werden. Aus dem Eintreten für ein preußisches Staatsethos durch den Historiker Karlheinz Weißmann, wird beim Demokratiebeamten ehrenrührig ein Plädoyer für einen autoritären Staat "zwar ohne direkte Negierung des demokratischen Verfassungsstaates, jedoch mit dem Rekurs auf Wertvorstellungen, die diesem Land nicht eigen sind" kostruiert. Diese "Wertvorstellungen", welche angeblich negiert werden, entnimmt der VS-Bedienstete jedoch nicht dem vom Bundesverfassungsgericht ausgestellten Katalog der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sondern der dezisionistisch formulierten "Aufklärung" und dem ebenso willkürlich formulierten "Liberalismus", welche in der als Maßstab phantasierten westlichen Werteordnung so nicht vorhanden sind.

Das Wesen der westlichen Werteordnung kann im übrigen in einem auch machtpolitisch zu verstehenden Wettbewerbsprinzip gesehen werden, dem sich die Bundesrepublik Deutschland, will sie nicht zur allgemeinen internationalen Umverteilungsmasse verkommen, wird stellen müssen. Der Versuch einer derartigen, machtpolitisch im Rahmen des politischen Wettbewerbsprinzips legitimen Positionsbeschreibung wird aber vom VS-Bedienstetenin quasi-amtlicher Funktionals "Brücke zum Rechtsextremismus" karikiert.

(Fortsetzung in der nächsten JF-Ausgabe)


 
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