© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Bildungspolitik: Schüler als Opfer von Pädagogen
Note "mangelhaft"
Werner Olles

Als der Deutsche Bildungsrat im Jahre 1966 seine sogenannte "Bildungsreform" – die in Wahrheit aus riskanten Empfehlungen für noch riskantere Schulexperimente bestand – durchsetzte, gab es kaum Vorstellungen über möglichen Folgen dieser "Reform". Vor allem sollte alles anders und natürlich viel besser werden. Die Bildungsplaner versteckten ihre Konzeptionslosigkeit hinter einem verbalen Schleier von bis dato relativ unbekannten Begriffen wie "Curricula", "Lernmatrix", "Operationalisierung", "Didaktik", "Stundentafel" und "Dimensionsanalyse", wohlwissend daß die meisten Eltern und Schüler mit einer derartigen Fachsprache nichts anfangen können. Aber genau dies war auch so geplant. Von nun an ging es primär um die "gesellschaftliche Relevanz" des Lernstoffs und nicht mehr darum, daß der Umgang mit dem Stoff bereits Erziehung beinhaltet.

Die politische Linke hatte erkannt, daß gerade Kinder einen kulturrevolutionären Sprengsatz darstellen und bauten auf dieser Erkenntnis der langfristigen Systemveränderung auf. Die ultralinke Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW kämpfte im "Primärsozialisationsfeld" Schule gemeinsam mit sozialdemokratischen Kultusministern an vorderster Front. Man wollte endgültig Schluß machen mit der "familiären Konfliktverschleierung" und mit der Entpolitisierung der Schüler durch Elternhaus, Sportverein und Kirche.

Dreißig Jahre später ist diese Saat insoweit aufgegangen, daß die Schüler heute über Lehrstoffe urteilen, ohne sie zu beherrschen und durch den Selektionsverzicht an den Schulen ein Bodenniveau erreicht wurde, daß wohl weltweit einmalig ist. Anstatt, wie einstmals geplant, Chancengleichheit zu erreichen etablierten sich jedoch nur mehrer Generationen Ignoranten, die zwar als Staatsbürger – und Wähler – alle Recht genießen, für die Berufswelt aber von vorneherein verloren sind.

So können im rot-grün regierten Hessen inzwischen Schüler ihren Hauptschulabschluß machen, obwohl sie in den Fächern Deutsch, Mathematik, Geschichte, Englisch und Physik die Note "mangelhaft" haben. Mit verwaltungsrechtlicher Hilfe gelang einem Darmstädter Schüler jüngst sogar die Versetzung in die nächst höhere Klasse mit der Note "mangelhaft" in fünf Fächern, ohne eine Ausgleich in anderen gleichwertigen Fächern. Dies ist aber durchaus noch nicht der Tiefpunkt der hessischen Schul- und Bildungspolitik. Immer öfter klagen die Handwerkskammern, die Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaften sowie die Industrie- und Handelskammern und Innungen darüber, daß den Bewerbern um Lehrstellen elementare Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen fehlen. Die hessischen Schüler fallen nach den Aussagen der zuständigen Innungsmeister weit hinter die Qualifikationen von Schülern in Bayern oder Baden-Württemberg zurück. Die CDU in Hessen macht dafür in erster Linie die Landesregierung mit ihren gescheiterten bildungspolitischen Schulexperimenten und besonders den nach wie vor der 68er-Ideologie verhafteten Kultusminister Holzapfel (SPD) verantwortlich. Im Interessse der Schüler müsse ein Eingangstest für die Berufsfachschule eingeführt sowie die Freigabe der Elternwillens beim Besuch weiterführender Schulen überprüft werden. Das Nachlassen der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der Jugendlichen, pädagogisch fragwürdige Erlasse und Verordnungen und unzulängliche politische Rahmenbedingungen führen nach Ansicht der Industrie- und Handelskammern zu einer Misere auf dem Arbeitsmarkt und zu steigender Jugendarbeitslosigkeit.

Der anhaltende Qualitätsrückgang der Schulabgänger liegt in dem "Selbstbetrug" des deutschen Schulsystems, das zwar immer mehr Schüler mit höheren Bildungsabschlüssen ausstatt, dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit allerdings kaum Aufmerksamkeit schenkt. Immer mehr Unternehmer finden keine qualifizierten Bewerber mehr, daher bleibt heute manche Lehrstelle unbesetzt. Wer jedoch bei den Mindestanforderungen der Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens bereits so eklatant versagt wie ein Großteil der Schulabgänger, hat heute kaum noch eine echte Chance auf einen guten Ausbildungsplatz. Die Hauptschuld am Verfall des schulischen Niveaus ist aber nicht den Schülern anzulasten, die jahrzehntelange Experimente über sich ergehen lassen mußten, sondern den ideologischen Fehlentscheidungen linker Politiker, die seit nunmehr drei Jahrzehnten junge Menschen für dubiose und utopische Wunschvorstellungen mißbrauchen, ihre eigenen Sprößlinge aber klugerweise privat beschulen lassen. Diese Dogmatiker der pädagogischen Manipulation haben die inzwischen eingetretene Bildungskatastrophe zu verantworten, Die Zukunft der jungen Generation ist aber zu wichtig, um sie abgehalfterten Alt-68ern und und sich selbst zum Maß aller Dinge aufspielenden "Bildungsreformern" zu überlassen. Während die alten Schulformen den deutschen Schülern eine Bildung vermittelten, die in der Welt ihresgleichen war, hat die grassierende Pädagogitis es fertiggebracht ein seit Jahrzehnten bewährtes Bildungssystem gründlich zu ruinieren.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen