© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Bassam Tibi: Europa ohne Identität
Der Leitkultur öffnen
Holger von Dobeneck

Überall, wo der Islam problematisiert wird, tritt er auf, im Fernsehen ebenso wie als Kommentator überregionaler Zeitungen. Die Rede ist von Bassam Tibi, Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen. Den 1944 in Damaskus geborenen Sproß einer einflußreichen Familie verschlug es schon sehr früh ins revolutionäre Frankfurt der 60er Jahre, wo er bei Adorno und Horkheimer Soziologie und Philosophie studierte. Als er Zeuge der Orgien bei der damaligen Rektoratsbesetzung wurde – wo auf Habermas’ Schreibtisch onaniert wurde –, wandte er sich innerlich ab von der Protestszene. Heute hat Tibi nichts mehr mit ihr im Sinn, an Jürgen Trittin kann er sich nur noch als besonders rüden Genossen des Kommunistischen Bundes erinnern.

Den 68ern, die immer noch von einer homogenen Weltkultur träumen und nicht merken, daß die Globalstrukturen dieser Welt damit nicht korrespondieren, hält er in seinem neuesten Buch ihre spießige Dummheit und intolerante politische Korrektheit vor. Diese sogenannten Intellektuellen merkten nicht einmal, daß nicht-westliche Zivilisationen eine Revolte gegen den Westen führen und dessen kulturelle und rechtliche Strukturen in Frage stellen.

Die islamischen Fundamentalisten verfolgen nach Ansicht Tibis ein kultur-imperialistisches Ziel, indem sie sich auf ein Koran-Gebot stützen und versuchen, den Islam durch Migration im Westen zu implementieren. Ideelle Unterstützung erhielten sie dabei von Islam-Schwärmern, die die Errichtung von Moscheen fördern, die wiederum die Namen von unduldsamen eroberungssüchtigen Scheichs tragen.

Diese Verharmloser wollten nicht einsehen, daß die Mehrzahl der Muslime keine Integration beabsichtigt, sondern sich in Ghettos größere Entfaltungsmöglichkeiten verspricht. Dort geraten sie dann sehr schnell in den Einflußbereich der Fundamentalisten, deren Imame sie davor warnen, die westlichen Werte zu verinnerlichen, da dies einer psychologischen Christianisierung gleichkäme.

Im Grunde verhalten sich diese Millionen Muslime, die als islamische Armutskultur ein wirkliches Pulverfaß bilden, wie der senegalesische Wolof-Stamm, der seinen Sufi-Brüdern gegenüber zur Loyalität verpflichtet ist und damit alle seine "kleinen Brüder" nachholen muß. Somit zieht ein Clan den anderen in einem unendlichen Prozeß nach sich. All diesen steht natürlich nie und nimmer der Sinn danach, sich einer westlichen Leitkultur verpflichtet zu fühlen.

Darum aber geht es vor allem Bassam Tibi: Er möchte einen Reform-Islam begründen, der sich rückhaltslos an die westliche Leitkultur anschließt. Er analysiert die Gefahren und kommt zu dem Schluß, daß Europa durch seine unkritischen Multi-Kulti-Phantasien in Gefahr steht, seine Identität zu verlieren und zu einem gesamteuropäischen Bosnien zu werden. Abhilfe sieht er nur darin, daß die Europäer einerseits von ihren politisch-korrekt motivierten Utopien ablassen und andererseits die Muslime sich vorbehaltlos der europäischen Leitkultur öffnen. Das aber würde voraussetzen, daß ein Euro-Islam entstehen müßte. Als Initiator dafür bietet sich Tibi an. Damit überschätzt er sich aber nicht nur selbst, sondern lebt auch gefährlich, denn Scheich Mohammed al-Chazali hat 1992 eine "fetwa" erlassen, die zum Mord an jedem Muslim aufruft, der zu einer Änderung der Scharia auffordert.

Bassam Tibi: Europa ohne Identität. Die Krise der multikulturellen Gesellschaft. C. Bertelsmann, München 1998, 320 Seiten, 42,90 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen