© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Kino: "Hamam – Das türkische Bad"
Ort der Begegnung
Gerhard Quast

Scheinbar ziellos streift der junge Italiener durch die Altstadt von Istanbul. Straße um Straße erschließt sich ihm die orientalische Atmosphäre der 10-Millionen-Stadt am Südausgang des Bosporus. Seine Hilfsbereitschaft führt Francesco (Alessandro Gassmann) in einen Hamam. Dort taucht er ein in eine traditionelle Welt aus Wasserdampf; erlebt das türkische Bad als einen Ort der Begegnung, wo Männer unter Männern sind (und Frauen unter Frauen) und man nicht nur der körperlichen Hygiene wegen hingeht, sondern auch, um Konversation zu betreiben oder die Seele baumeln zu lassen.

Der erfolgreiche römische Innenarchitekt ist jedoch keineswegs ein Urlauber, nur widerwillig ist er nach Istanbul gereist, um ein von seiner Tante geerbtes Haus in der Altstadt zu verkaufen. Das Erbe entpuppt sich als lukrative Immobilie, die zusammen mit einem ganzen Viertel uniformen Neubaublöcken weichen soll.

Die Unterzeichnung des von einem Vermittler vorbereiteten Kaufvertrags verzögert sich, als er den Papieren entnimmt, daß seine Tante Anita bis vor einigen Jahren in dem Anwesen auch ein türkisches Bad betrieben hatte. Er möchte vor der Vertragsunterzeichnung wenigstens einmal das Gebäude in Augenschein genommen haben.

Hinter der eher unscheinbaren Fassade des heruntergekommenen Eckhauses entdeckt Francesco ein Kleinod, das den einstigen Prunk und das Flair des Hamam noch erahnen läßt. Er entschließt sich, das Haus zu behalten. Kein Drängen und kein Drohen bringen ihn von diesem Entschluß ab.

Mit Hilfe der Familie, die im Haus seiner verstorbenen Tante wohnt, und mit der er sich schnell angefreundet hat, beginnt er den Hamam zu restaurieren. Er möchte dieser traditionellen Welt, die zum Verschwinden verdammt ist, neues Leben einhauchen.

Als Marta (Francesca D’Aloja), Francescos Frau, Wochen später nach Istanbul kommt, um sich von ihm zu trennen, erkennt sie ihren Mann kaum wieder. Die Faszination des Hamam und das orientalische Leben, in das der Sohn des Hauses (Mehmet Gunsur) ihn eingeführt hat, haben einen anderen Menschen aus ihm gemacht.

Doch die aufwendige Renovierung des Hamam können Francesco und seine Helfer nicht abschließen. Vorher läßt Ferzan Ozpetek sein Regiedebüt in einer Katastrophe enden.


 
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