© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Zeitschriftenkritik: "wirselbst" macht sich Gedanken über "Linke und die Nation"
Grenzen und Mauern durchbrechen
Werner Olles

Seit ihrer Gründung Ende der siebziger Jahre durch eine Handvoll abtrünniger "Junger Nationaldemokraten" ("Grüne Zelle Koblenz") um den Verleger, Herausgeber und Redaktionsleiter Siegfried Bublies hat sich die Zeitschrift "wirselbst" – der Name ist dem irischen "Sinn Fein" nachempfunden – zu einem beachtlichen Diskussionsforum entwickelt, das immer wieder die Grenzen und Mauern des in Deutschland so liebgewonnenen Lagerdenkens durchbricht. Durchaus unorthodox debattieren hier Linke und Rechte miteinander und zerreißen somit die Fesseln selbstauferlegter Dogmen und Ideologien.

Stellvertretend für diesen (Dis)kurs steht Henning Eichberg, einer der Hauptautoren der Zeitschrift, nach einer Odyssee durch die verschiedensten rechten Formationen der sechziger Jahre inzwischen als ökologischer Linker in Dänemark beheimatet und dort Mitglied der Sozialistischen Volkspartei. Das hindert jedoch einen Antifa-Dinosaurier wie die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke keineswegs, im Jahre 1997 die Bundesregierung über "verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse" zu Eichberg zu befragen. Auch dieser "Vorgang" ist in der aktuellen Ausgabe 2/98 von "wirselbst" ausführlich dokumentiert und recht witzig kommentiert.

Ernster zu nehmen sind dagegen Herbert Ammons "Reminiszenzen und Reflexionen zehn Jahre danach: die Linke, die Moral und die Nation", die er seinem 1988 publizierten Text "Abgrenzung als Integrationstechnik – über die Grenzen westlicher Demokratie" voranstellt. Hanno Borchert führt ein Interview mit dem grünen Maoisten Dieter Schütt, der – von seinen PDS-Freunden als "Strasserist" gescholten – für eine "neue kulturrevolutionäre Bewegung" plädiert und zu diesem Zweck einen "Deutschen Volkskongreß" etabieren möchte. Wenig schlüssig erscheinen allerdings seine Gedanken zum China Mao Tse-Tungs während der blutigen Kulturrevolution. Das Mao-Bildnis auf dem Titelbild der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Der Funke erinnert an den nationalbolschewistischen Kurs der unseligen KPD/ML unter Ernst Aust, aus dessen Dunstkreis wohl auch Schütt entstammt.

In Christine Ostrowskis "Brief aus Sachsen" sieht Hennig Eichberg "die neue Lebendigkeit der PDS". Seiner Partei, den dänischen Volkssozialisten, empfiehlt er daher, der PDS als Schwesterpartei den Vorzug vor den Grünen zu geben. Gänzlich anderer Ansicht in Hinblick auf die PDS ist Siegmar Faust, Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen der ehemaligen DDR im Freistaat Sachsen. Faust schätzt die PDS als kommunistische Kaderpartei ein, die als Partei des "totalitären Alptraums" (Gorbatschow) "von allen Demokraten geächtet werden sollte wie die NSDAP". Faust wendet sich damit nicht generell gegen die Existenz einer sozialistischen Partei, sieht aber in der PDS dieselben Klassenkämpfer am Werk, die jene "massenhaften Verbrechen, die seit 1917 die Menschheit heimgesucht haben, entschuldigten, deckten und anderen in die Schuhe zu schieben versuchen".

Über den "flüchtigen Charme des Linksnationalismus" schreibt Wilfried Knörzer, dessen Conclusio lautet, daß der Kampf gegen den Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Sozialismus "nur noch von rechts, von einer nationalistischen Position aus geführt werden kann." Sascha Jung sucht in seinem Beitrag "Der Hofgeismarkreis der Jungsozialisten" nach "sozialdemokratischen Antworten auf die nationale Frage", und Karim Most spürt der "Bedeutung des Arbeiterbildes in Ernst Niekischs Ideologie des revolutionären Nationalismus" nach. 

 

Die Zeitschrift "wirselbst" erscheint in 56001 Koblenz, Postfach 168. Vier Ausgaben kosten im Abonnement 46 DM, für Schüler und Studenten 36 DM. Das Einzelheft kostet 10 DM inkl. Versandkosten.


 
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