© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Steuerfreie Gesinnung
Karl Heinzen

Die Idee der Gerechtigkeit hat viele Gesichter, eines davon zeigt Oskar Lafontaine. Dies macht die Diskussion über die Grundwerte in unserer Gesellschaft nicht leichter, aber unvermeidlich. Die Zeiten, in denen Anarchisten mit schlechten Gewissen einen Staatsapparat in den Händen hielten, an den sie einzig die Verfassung band, sind unwiderruflich vorüber. Jetzt wird wieder regiert, jetzt hat das Spiel ein Ende, den Staat von oben herab bloßzustellen, jetzt gibt es wieder gute Gründe, gegen Provision umzuverteilen. Gerechtigkeit ist aber nur erfahrbar, wenn sie wenigen zugutekommt und viele in die Pflicht nimmt. Effizienz wäre dabei ein falscher Maßstab, um ihr selber gerecht zu werden. Eine der Gerechtigkeit verschriebene Politik bereichert die empfundene Lebensintensität der Menschen, indem sie Schuldgefühle weckt und dann wohldosiert für kleine kurzzeitige Entlastung sorgt. Eine Gesellschaft kann so, wenn man es nur geschickt anstellt, ganz süchtig nach Gerechtigkeit werden. Es gibt keine noch so alltägliche Lebenssituation, in der sie nicht ihren Platz haben könnte. Die Kunst der Politik liegt nun darin, diese Emotionen so weit zu bündeln, daß sich neue Steuerarten implementieren lassen. Dahinter wiederum steht ein urdemokratischer Gedanke: Der fiskalische Widerstand wird von unten sozusagen freiwillig aufgegeben, er muß nicht autoritär von oben gebrochen werden. Gerechtigkeit heißt zugleich die Liebe zum Detail. Sie ist daher nicht nur in der großen Politik beheimatet, sondern steht genau auf der Agenda der Städte und Gemeinden. Frankfurt am Main z. B. will es nicht länger tolerieren, daß Mini-Autos, die so sympathisch sind, weil man sie umarmen kann, die gleichen Parkgebühren wie ein ausgewachsenes Kraftfahrzeug berappen müssen, obwohl sie nur die Hälfte, bald vielleicht sogar nur ein Zehntel der Parkfläche beanspruchen. Weiterungen sind vorstellbar: Man könnte etwa Parksünder in Mini-Autos auch mit entsprechend niedrigeren Bußgeldern belegen, da die von ihnen ausgehende Verkehrsbehinderung ja ebenfalls niedriger ist. Sinn machen derartige Überlegungen allerdings nur, wenn sie zu Netto-Mehreinnahmen der öffentlichen Hand führen. Sie dürfen also nicht dazu mißbraucht werden, Entlastungen für die Halter von Mini-Autos zu legitimieren, sie müssen statt dessen das Verständnis für eine verstärkte Belastung jener wecken, die Modernitätsverweigerer sind und immer noch an Mobilitätsvorstellungen haften, von denen sich die Grünen schon 1980 verabschiedet haben. Das letztlich Wünschbare: Das wäre natürlich eine Fiskalpolitik, die dem Bewußtsein der zu Besteuernden Rechnung trägt. Warum soll derjenige, der sich bloß aus Daffke ein Mini-Auto kauft, jemandem vorgezogen werden, der dies ideologisch unterstützt, aber eine Luxuslimousine fährt? Ein Gesinnungssteuerrecht ist die große Aufgabe unserer Zeit, nicht zu klein für Oskar Lafontaine.

 
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