© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
CD: Schlager
Reserve-Maffay
Holger Stürenburg

Er ist der erfolgreichste deutsche Schlagersänger der neunziger Jahre, seine Alben "Alles" (1996) oder "Nie genug" (1997) haben Gold- und Platinauszeichnungen erhalten, sind seit mehreren Jahren in den hiesigen Hitparaden zu finden: Wolfgang Petry, seit über 20 Jahren im Geschäft, hätte beinahe nach seiner ersten Hitzeit 1976 ("Sommer in der Stadt") bis 1984 ("Gnadenlos") den Anschluß verpaßt, wenn ihm nicht im Sommer 1992 ein Produzent die gnadenlos einfache, aber absolut eingängige Komposition "Verlieben, verlor’n, vergessen, verzeih’n" vorgespielt hätte. Mit diesem schnellen Popsong gelang dem oft als "Reserve-Maffay" belächelten Interpreten sein erster Hit in den Neunzigern, und von da an ging es Schlag auf Schlag. Mit rockig-poppigen Liebesliedern stürmte Petry die Hitlisten, feierte ausverkaufte Tourneen.

Nur ein Jahr nach seinem letzten Doppelplatin-Album "Nie genug", ist nun seine aktuelle CD "Einfach geil!" erschienen, mit der Wolfgang Petry garantiert wieder in höchste Hitsphären gelangen dürfte. Tatsächlich sind die 20 (!) neuen Lieder auf "geile" Weise "einfach". Musikalische oder textliche Risiken werden kaum eingegangen. Statt dessen präsentiert "Einfach geil" typische Petry-Ohrwürmer, auf Gitarrenriffs aufgebaut, mit ein bißchen Keyboard und hämmerndem Schlagzeug – kaum noch Schlager, viel eher Rock und Bluesrock gibt es da. Thematisch bleibt auch das meiste beim alten. Es geht um Liebe, Liebe und nochmals Liebe, handelt über "Das erste Mal im Leben", "Du mit mir" oder "Nichts wie weg – und Schluß mit Liebe".

Nachdem bereits in den letzten Jahren Lieder mit leicht "obszönen" Titeln oder Texten wie "Scheißegal" oder "Beschissen war die Nacht (Augen zu und durch)" zwar nicht immer im politisch korrekten Rundfunk, dafür aber bei den Millionen Fans sehr gut ankamen, haut man dieses Mal voll drauf und präsentiert Hits mit Titeln wie "So ein Schwein", "Geil Geil Geil" oder "Himmel, Arsch und Zwirn". Nichts gegen das eine oder andere heftig-deftige Wort in einem Schlager oder Lied, aber dieses Mal haben die Texter und Komponisten – Petry hat nur ein Lied auf der neuen CD selbst komponiert – etwas zu sehr auf den Dampfhammer gedrückt. Aber Petrys ungekünstelte Sprache, seine simple Themenwahl und sein vollständiger Verzicht auf politische oder ideologische Belehrungen haben ihm ein Publikum aller Altersstufen und sozialen Schichten geschaffen, für die er – wie er sagt – ein "Anti-Star" sein möchte: Er verzichtet auf abgetrennte "VIP"-Bereiche bei seinen Konzerten, gibt nach jedem Konzert – und sei die Halle noch so groß – Autogramme und spricht mit seinen vielen Anhängern. Einmal jedoch verläßt Petry auf "Einfach geil" höchst innovativ seinen musikalisch ansonsten ein bißchen eintönigen Weg und präsentiert mit "Ich trenn’ so gern mit Dir den Müll" einen schnellen Rock’n’Roller, den Chuck Berry kaum besser hinbekommen hätte. Solche Experimente tun seiner Musik gut und lassen auf einen in Zukunft vielleicht vielschichtigeren Wolfgang Petry hoffen.

Wer tanzen will, Spaß und Freude haben möchte, wird auf Petry neue CDs zurückgreifen – und beim Hören für ein zwei Stunden vergessen, daß nun Rot/Grün die Regierung stellt, unser neuer Verteidigungsminister Rudolf Scharping heißt und Autofahren bald nicht mehr für jedermann finanzierbar ist.


 
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