© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Pankraz,
das Schwein und die Lust an Kunst & Krempel

Kunst & Krempel" – um mal was Gutes über das Fernsehen zu sagen – ist wohl die amüsanteste, lehrreichste, aufregendste, gemütlichste TV-Veranstaltung, die es zur Zeit in Deutschlsnd gibt. Allwöchentlich samstags vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt, zeigt sie, wie diverse Zeitgenossen, die irgendetwas Wertvolles auf dem Flohmarkt erworben zu haben glauben oder irgendein angestaubtes Familienerbstück hegen, mit ihrem "Kunstobjekt" vor vereidigte Experten treten, um sich darüber aufklären zu lassen, wie teuer die Sache nun wirklich ist, wo sie herstammt, ob sie ein vornehmes "Pedigree" hat oder auf den Müll geschmissen gehört. Der Zuschauer unterhält sich blendend.

Da ist zunächst der bunte Reigen der Sachen selbst, Gemälde und Radierungen, alte Gläser und alte Musikinstrumente, Tabakspfeifen und Tabaksdosen, Jagdwaffen und Spielzeuge, Puppen, Hochzeitsringe, prähistorische Möbelstücke. Da sind die Besitzer, "kleine Leute" zu allermeist, erklärte Nicht-Kenner, deren bänglich erwartungsvolle Mienen die Kamera genußvoll ins Bild rückt. Und da sind auf der anderen Seite die Experten, joviale Museumsdirektoren oder Kunsthändler, wahre Tausendsassas, mit einer Objektkenntnis gesegnet, die geradezu wunderbar ist und Entstehungszeit beziehungsweise -ort der einzelnen Stücke fast bis auf den Tag und die Werkstatt genau zu benennen weiß.

Man staunt, wieviel "verborgene Schätze" noch unbewertet und außerhalb des Kunsthandels überall im Land herumliegen, trotz der vielen Zerstörungen und Ausplünderungen in den letzten hundert Jahren, trotz der Vertreibungen, Verramschungen und schweifenden Antiquitäten-Haie. Man zieht den Hut vor der Solidität des alten, vorindustriellen Handwerks, das wahrhaftig "wie für die Ewigkeit" produzierte, und vor der Könnerschaft weitgehend unbekannt gebliebener Künstler, die einst nur "im Stile von" malten oder schnitzten und deren Werke nun im Nachhinein einen tollen Charme und feinste Delikatesse ausstrahlen.

Selbst die Stücke, die von den Experten als "Krempel" durchschaut werden, also als Nicht-Kunst, bloßer Gebrauchsgegenstand von ehedem, billiges Mode-Accessoire, bewahren eine ganz eigene Würde, haben kaum etwas zu tun mit dem, was wir heute als "Kitsch" bezeichnen. Der Kitsch, so erweist sich, ist ein spätes Produkt der industriellen Massenproduktion.

Was früher für wenige Kreuzer zu haben war, war noch lange nicht "billig", der kleine Mann mußte lange dafür sparen, und er verlangte deshalb Qualität durchaus, keine Originalität, aber Haltbarkeit, Verläßlichkeit und daß man sich mit dem Stück nirgendwo lächerlich machte. Das spürt man in der Sendung sofort.

Es herrscht denn auch eine große Einigkeit zwischen Besitzern und Experten bei "Kunst & Krempel". Auch wenn der Experte sagen muß, daß man heute "auf dem Markt" für dies und das nur wenige DM oder Dollar bekommen würde, tröstet er doch sogleich, da sei ja noch der "Erinnerungswert", der Wert, den das Stück für die Begründung einer Familientradition habe oder für die unverändert praktische Nutzung. Gar nicht so weniges, so zeigt sich bei "Kunst & Krempel", ist im Vergleich zu früher eindeutig schlechter geworden, verliert schneller seinen Gebrauchswert, verrottet schneller, stiftet nicht die geringste Übereinkunft.

Heute wird bekanntlich mehr für den Ver-Brauch als für den Ge-Brauch produziert, und der Käufer ist kein Ge-Braucher, sondern ein Ver-Braucher. Die moderne Kunst reflektiert das, indem sie irgendwelches Gerümpel zur Kunst erklärt, die Museen mit Artefakten von der Müllhalde vollstellt oder den Kunstobjekten von vornherein alles Statuöse, Dauernde wegnimmt, sie zu Kunst-"Ereignissen" transzendiert. Dazu liefert "Kunst & Krempel" samstags abend in Bayern 3 gleichsam die Gegenbewegung. Die Sendung ist in aller Unschuld eine Art Gegen-dokumenta.

Dazu paßt, daß ihre Objekte, ob nun Kunst oder Krempel, immer die "Schönheit" anpeilen, im Sinne der alten, klassischen Definition, daß Schönheit das "Durchscheinen der Idee" sei, die Ummantelung eines Begriffs, einer Idee, wobei der Mantel die Idee aber nicht zum Verschwinden bringt, sondern sie im Gegenteil erst richtig erkennbar macht. Noch die vorsintflutlichste Meerschaumpfeife oder Trottelfußbank in der Sendung huldigt dieser Definition von Schönheit, verziert die Funktion (des Rauchens oder des Füßehochlegens) mit Porzellanbildchen oder Kordsamttrotteln, doch stets so, daß die Funktion dadurch nicht behindert, sondern sogar noch zum puren Behagen gesteigert wird.

Pankraz erinnert sich an eine "Kunst & Krempel"-Sendung zur Zeit der letzten documenta, auf der ja als zentrales Kunstwerk eine lebendige Schweinefamilie ausgestellt war. Endlos viele Kommentare gab es damals zu diesem Thema – was der Künstler denn mit diesen Schweinen gemeint habe, was die "Idee" davon sei?

Gleichzeitig wurde bei "Kunst & Krempel" ein Porzellanschwein aus dem Jahre 1880 beurteilt (heutiger Marktwert: etwa 40 DM), das ein Kleeblatt im Maul trug und einen Schornsteinfegerhut auf dem Kopf und in das man durch einen Schlitz auf dem Rücken Geld stecken konnte. Hier war die Idee von vornherein klar, und das Porzellanschwein war auch schöner, rosiger, fetter und appetitlicher als die lebenden documenta-Schweine.

Die documenta-Schweine werden inzwischen den Weg allen Fleisches gegangen sein, das "Kunst & Krempel"-Schwein aber wurde, nachdem es exakt bewertet worden war, von seinem Besitzer mit etwas enttäuschtem Lächeln eingepackt und dürfte seinen alten Ehrenplatz auf der Kommode im Vestibül des Reihenhauses wieder innehaben. Woraus erhellt, daß der Krempel von ehedem zumindest beständiger ist als die Kunst von heute.


 
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