© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Industrie: Boehringer hat seine Hausaufgaben im Umweltschutz gemacht
Spitzenpharma aus Mannheim
Rüdiger Ruhnau

Als im November vorigen Jahres 400 Beschäftigte der Boehringer-Werke mit einem Demonstrationszug durch den Stadtteil Mannheim-Waldhof gegen einen möglichen Stellenabbau protestieren, war eine der spektakulärsten Fusionen in der Pharmabranche bereits beschlossene Sache. Der Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-La Roche (Roche Holding AG, Basel) hatte für 18 Milliarden Mark eines der größten deutschen Familienunternehmen gekauft, die Boehringer Mannheim GmbH. Diese ist Teil der internationalen Boehringer-Mannheim Gruppe, die wiederum zusammen mit der US-amerikanischen De Puy Inc., einem auf dem Gebiet der Medizintechnik tätigen Unternehmen, die Muttergesellschaft "Corange Ltd." bildet. Die sagenumwobene Corange, mit Sitz auf den Bermudas, erwirtschaftete mit rund 20.000 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von über vier Milliarden Dollar und ist weltweit führend bei Hüftimplantaten. Die Corange gehörte den deutschen Familien Engelhorn, die vermutlich verkauften, um den kräftezehrenden internen Streitigkeiten ein Ende zu bereiten. Der zweitgrößte Schweizer Chemieriese Roche hat sämtliche Corange-Aktien übernommen, aber den De Puy-Anteil wieder veräußert. Boehringer-Mannheim ist (nach der US-Firma Abbot) global führend auf den Gebieten der klinischen Chemie, der Laborautomatik sowie der Schnelldiagnostika. Bei Diabetes-Meßgeräten für die Patienten-Selbstdiagnostik besteht Marktführerschaft.

Die Entwicklungen waren geradezu revolutionär

Seit über 125 Jahren werden in Mannheim Gesundheitsmittel hergestellt. Boehringer importierte die Rinde des Chinabaumes und extrahierte daraus Chinin gegen Malaria. Um die Jahrhundertwende synthetisierte man das Geschmacksmittel Vanillin, ohne das heute kein Kuchenbäcker auskommt. Im Zweiten Weltkrieg wurden wegen der alliierten Bombenangriffe Werksteile nach Tutzing am Starnberger See verlagert. Dort entstand nach dem Krieg ein hochrangiges Forschungszentrum auf dem Gebiet Biochemie/Biotechnologie. Mit der aus Hefe isolierten Alkohol-Dehydrogenase wurde erstmals in der Gerichtsmedizin eine Alkoholbestimmung im Blut durchgeführt. 1956 entwickelte die Boehringer-Forschung den ersten Harnteststreifen zur Diabetiker-Selbstkontrolle, den "Glucotest". In Tutzing erfand man den Combur-Test, einen Teststreifen zum Nachweis von Traubenzucker und Eiweiß im Harn mit gleichzeitiger pH-Anzeige. Diese diagnostischen Methoden – u.a. zum Nachweis eines Herzinfarktes – wirkten revolutionierend in der klinischen Chemie.

In Penzberg (Oberbayern) wurde 1972 auf der "grünen Wiese" eine mit modernster Technologie ausgerüstete Fabrik errichtet, in der heute ca. 2.000 Mitarbeiter nicht nur Biochemika und Diagnostika produzieren, sondern auch Spitzenforschung in der Gentechnik betreiben. Als vorteilhaft erwies sich dabei die räumliche Nähe zur Uni München, wo Mitarbeiter des Biochemikers und Nobelpreisträgers F. Lynen Kontakt zu der angewandten Forschung des Pharmabetriebes hatten. Ende der siebziger Jahre begann die Kooperation mit dem japanischen Hitachi-Konzern, dem weltweit größten klinischen Apparateher-steller. Den Analyse-Automaten, die u.a. auch zur DNS-Sequenzierung entwickelt wurden, kommt eine immer stärkere Bedeutung zu. Mit dem Hitachi-System kann gleichzeitig in einer Vielzahl von Proben die Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten bestimmt werden. Vor zwei Jahrzehnten startete in Penzberg die gentechnische Entwicklung des "Erythropoietin" (EPO), das zur Behandlung von Nierenschäden benötigt wird. EPO, das auch unter dem Namen "Recormon" läuft, war das erste gentechnisch hergestellte Produkt und wurde zum umsatzstärksten Arzneimittel Boeh-ringers. EPO stimuliert das Knochenmark, die den Sauerstoff transportierenden roten Blutkörperchen (Erythrozyten) vermehrt zu bilden, es kann damit auch die Ausdauerfähigkeit bei Hochleistungssportlern erhöhen. Kein Wunder, daß bei der diesjährigen Tour de France EPO im Gepäck des Begleitpersonals in stattlichen Mengen gefunden wurde. Der Mißbrauch des Wundermittels ist bisher durch Analyse nicht nachweisbar. Untersucht werden kann lediglich, ob der Gehalt an Erythrozyten im Blut einen bestimmten Wert übersteigt. Unkontrollierbarer Gebrauch des in der Humanmedizin eingeführten Erythropoietin kann zu Thrombosen führen. Aber auch dagegen hat Boehringer ein Mittel parat: Der ebenfalls gentechnisch hergestellte Wirkstoff "Reteplase" kann Blutgerinnsel schneller auflösen als alle bisher eingesetzten Medikamente, damit stellt er bei der Behandlung des Herzinfarktes eine Revolution dar.

Umweltgefährdende Stoffe sollen ersetzt werden

Innerhalb der Corange Ltd. ist das Werk Waldhof-Mannheim mit 5.800 Beschäftigten die größte Produktionsstätte für Gesundheitsmittel. Die pharmazeutischen Wirkstoffe werden entweder durch Isolierung aus pflanzlichen Materialien oder durch chemische Synthesen hergestellt. Anschließend werden die Wirkstoffe zu aufnehmbaren Arzneimitteln (Tabletten, Ampullen, Dragees, Zäpfchen) verarbeitet.

Schon 1993 verpflichtete sich die Boehringer Mannheim mit der Herausgabe eines Umweltschutz-Handbuches zur freiwilligen Umweltschutzbetriebsprüfung aufgrund der entsprechenden EU-Verordnung. Damit war Interessenten die Möglichkeit geboten, sich ein Bild von den tatsächlichen Umweltbelastungen und ihren Gegenmaßnahmen zu machen. Im Anschluß an die alle drei Jahre stattfindende Umweltbetriebsprüfung wird eine Umwelterklärung erstellt, die über wichtige Veränderungen seit der letzten Prüfung informiert. Eine Stabsstelle Umweltschutz hält für alle relevanten Gebiete Kontrollbeauftragte bereit. In einer Gefahrstoffdatei sind sämtliche im Betrieb eingesetzten Stoffe mit ihren Eigenschaften nebst ihrer Umweltrelevanz aufgelistet, das sind immerhin 15.000 Artikel. Man ist bestrebt, umweltgefährdende Stoffe durch weniger gefährliche zu ersetzen. Die Lagerung von Gefahrstoffen darf nur an speziell ausgerüsteten Stellen erfolgen. Ein "Alarm- und Gefahrenabwehrplan" soll sicherstellen, daß im Bedarfsfall alle notwendigen Schritte eingeleitet werden können, während eine betreiberunabhängige automatische Überwachung sämtliche Daten in den Bereichen Abluft, Abwasser, Abfall registriert. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam es am im August 1998 im Werk Waldhof zu einer starken Verpuffung, weil sich in einem Abluftsystem ein zündfähiges Gemisch gebildet hatte; der Sachschaden betrug eine halbe Million Mark, verletzt wurde niemand.

Mit 464 Tonnen pro Jahr war allerdings 1994 die Emission des Kraftwerks an Schwefeldioxid entschieden zu hoch. Die Emissionswerte an organischen Stoffen lagen im gleichen Jahr bei 70 Tonnen Methanol, 60 Tonnen Chloroform und 40 Tonnen Toluol, hier soll eine Nachverbrennungsanlage künftig für eine erhebliche Verringerung sorgen. Abwässer und Abfälle werden bis auf eine geringe Vorbehandlung im wesentlichen durch die Stadt Mannheim entsorgt. Boehringer hat damit begonnen, medizinische Analysegeräte zurückzunehmen und zu entsorgen, 1995 waren es 60 Tonnen "Elektronikschrott". Zukünftig sollen alle Erzeuger ähnlicher Apparaturen verpflichtet werden, Altgeräte kostenfrei zurückzunehmen. Leider ist bis heute die schon vor Jahren geplante Elektronikschrott-Verordnung immer noch nicht verabschiedet, dabei fielen 1997 in Deutschland 1,4 Millionen Tonnen an, Tendenz steigend.


 
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