© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Witzlose Union
Karl Heinzen

Die SPD verliert weiter in der Wählergunst und liegt nur noch bei etwa 40 Prozent, während CDU und CSU sich vorerst auf dem erreichten Niveau zu konsolidieren scheinen. Der auf Argumente und nicht auf Stimmungen setzende Unionswahlkampf beginnt also, sich auszuzahlen. Im Konrad-Adenauer-Haus kann man sich trösten, daß der entscheidende Grund für die Niederlage der frühe Wahltermin gewesen sein dürfte. Schon eine Verschiebung in das Jahr 1999 hinein hätte vielleicht Wunder bewirkt: Man hätte Gerhard Schröder zum einjährigen Jubiläum seiner Kandidatur verhöhnen können, man hätte darauf setzen dürfen, daß die Menschen jemanden, der immer nur bereit ist, auch gerne bereit sein lassen.

Nun ist es zu spät. Wie immer hat sich die Union an die Spielregeln, die sie aufgestellt hat, auch selber gehalten. Das muß sie nun büßen. Während sie die späten Früchte der Ära Kohl einfährt, säen andere, was sie morgen selber ernten wollen. In der Zahl der sich um Politiker rankenden TV-Witze, so eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Statistik, bauen Schröder und Fischer zielstrebig ihren Vorsprung aus. Das Kräfteverhältnis auf diesem Feld ist mit 15 zu 1 für Rot-Grün eher noch untertrieben. Wer sich als Politiker aber aus dem Gelächter der Menschen verabschiedet, findet in der Öffentlichkeit nicht mehr statt. Wer johlt heute noch auf, wenn er den Begriff "Leutheusser-Schnarrenberger" hört? Schon in Kürze wird es uns nicht anders ergehen, wenn wir "Hintze", "Blüm" oder gar "Kohl" aufschnappen

Nach dem Verlust der Macht gelten im Ringen um den Platz im Nachrichtenbild für christdemokratische Politiker genau die gleichen Konditionen wie für andere Normalsterbliche und -verdiener auch. Überraschend muß es sein, was gesagt wird, singulär und ruhig auch ein wenig exzentrisch. Man muß zwar nicht mehr die Folgen seines Redens befürchten, kann aber auch niemandem weismachen, daß jenes Reden Folgen hätte.

Verfügt nun die Union über das Personal, um dieses aufregende Spiel zu spielen? Wo sind die Enkel Kurt Georg Kiesingers, die den Enkel Adenauers beerben könnten? Auch wenn der nächste Kanzler aus den Reihen von CDU und CSU wahrscheinlich noch nicht geboren ist, so gibt es doch so manchen Farbtupfer, der an den Kabinettstischen, wie wir sie jetzt für einige Zeit kennenlernen werden, Platz nehmen könnte, ohne aufzufallen. Man wird sich schon ein wenig bei Guido Westerwelle abgucken müssen, vor allem, was das Denken in Dimensionen betrifft, die den Wahlergebnissen adäquat sind. Warum sollte die Union überhaupt noch einen Kanzlerkandidaten nominieren? Wäre das nicht unsolidarisch gegenüber dem, den das Los trifft? Sollte man nicht statt dessen traditionsbewußt sein und die Führungsrolle der SPD akzeptieren? "Eine Opposition, mit der es sich gut regieren läßt": Dies ist mehr als nur das Motto einer Leihstimmenkampagne, mit der es die Union im Jahr 2002 versuchen könnte.


 
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