© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Abschied von rechts
Von Angelika Willig

In seinem Forumsartikel vom 18. September 1998 fordert Dieter Stein wieder mal eine Klärung des Begriffes "rechts". Er meint, daß die Rechten nicht zuviel, sondern zu wenig über sich nachdächten und wünscht sich eine bessere "Streitkultur". Das hat in mir zu meiner eigenen Überraschung das Bedürfnis geweckt, auch ein paar Worte dazu zu sagen. Ich habe mich vor ziemlich genau zwei Jahren von dieser Zeitung und überhaupt aus der sogenannten Rechten verabschiedet.

Die "neue" oder "junge" oder "intellektuelle" Rechte, wie sie beim Wochenzeitungsstart 1994 noch durch die Landschaft geisterte, ist tot. Die alte Rechte, NPD und DVU, erhob sich dahinter noch einmal wie jene "Manen" genannten Holzpuppen, die man im alten Rom bei Beerdigungen in Gestalt der Vorfahren mit sich trug.

Der 27. September verjagte auch sie. Nun kommt das Neue, und das heißt Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Arbeitsplätze sind Wirtschaft, Benzinpreis ist Wirtschaft, Mehrwertsteuer ist Wirtschaft, PDS ist Wirtschaft, Einwanderung ist Sozialausgaben ist Wirtschaft, Einwanderung ist Renten, ist Wirtschaft, Gen-Technik ist Wirtschaft, Euro ist Wirtschaft, Globalisierung ist Wirtschaft – und so weiter. Wo schon das Politische in den Hintergrund tritt, interessiert ein Meta-Politisches erst recht nicht mehr.

Und was haben die Rechten zum entscheidenden Thema Wirtschaft zu sagen? Sie künden, wie auch Dieter Stein, von der nationalen Solidarität. Nationalismus als sozialer Nationalismus, diese Töne bläst man bis hin zur NPD. Doch Volksgemeinschaft, Arbeitsfront und Arbeitsdienst, Stirn und Faust fürs Vaterland, das machte Hitler besser und original und scheiterte dennoch nicht zufällig. Er scheiterte, weil seine Grundsätze falsch waren, nicht nur unmoralisch (das interessiert Nihilisten und Dezisionisten ja nicht), sondern theoretisch und praktisch falsch. Sich daran vorbeizuschummeln und zu sagen: Wir machen jetzt eine Light-Version und lassen die Morde oder wenigstens die Juden-Morde weg, ist schon sehr naiv.

Es ist ähnlich naiv, wie wenn die Linken nach dem totalen Zusammenbruch der marxistisch-leninistischen Weltmacht nur ein paarmal die Köpfe
schütteln ("schlimm, schlimm"), um dann fröhlich bei Proudhon und den utopischen Sozialisten wieder anzufangen. Denn der Kern sei ja nicht so schlecht. Der Kern ist schlecht bei den Linken wie bei den Rechten, denn der Kern ist Realitätsblindheit. Und die ist in der Tat gefährlicher als der gemeine Amoralismus des Kriminellen. Es stimmt ja, daß Rechte und Linke einiges gemeinsam haben. Aber diese Gemeinsamkeit führt sie nicht zusammen. Die Linke nämlich sieht ihr Ideal, ihr "goldenes Zeitalter", in der Zukunft, die Rechte findet es in einer verklärten Vergangenheit (50er Jahre, Drittes Reich, Wilhelminismus, Romantik, man kann da zurückgehen bis zu den alten Germanen). Beiden gemeinsam ist die Illusion. Weil Illusionen und nicht Realismus sie leiten, sind linke wie rechte Ideologien für junge Menschen so verführerisch. Das – und nicht nur die Jugendarbeitslosigkeit – erklärt die Überrepräsentanz der Jugend bei NPD und PDS. Junge Leute sind relativ "neu" in der Welt und müssen erst noch durch Erfahrung lernen, wie es auf dieser Welt zugeht. Und es geht nicht so zu, wie nationale oder andere Sozialisten sich das vorstellen.

Da wird auf der Rechten bedauert, daß es das alles nicht mehr gibt: die deutsche Familie, den deutschen Bauern, den deutschen Geist, das deutsche Lied, die deutsche Weihnacht. Ja, das ist auch schade, und es geht nicht gegen die Ausländer, wenn man das zugibt. Man darf ja auch sagen, es ist schade um die Pferdekutschen und doch mit dem Auto in den Spreewald fahren. Aber die Pferdekutschen (oder die Reifröcke und Nachtwächter) wieder einführen zu wollen, wäre lächerlich. Genauso lächerlich macht sich jemand, der heute das Nationale auf seine Fahnen schreibt. Eine solche Position ist nicht umstritten (oder "nonkonform", wie die Jungrechten gerne sagen), sie ist indiskutabel. Und genauso reagiert die Öffentlichkeit – mit Totschweigen. Sie wacht nur auf, wenn der "Spinner" gewalttätig wird und ruft nach der Gummizelle. Zwischen diesen Polen – Pathologisierung und Kriminalisierung – bewegt sich die Rechte seit 50 Jahren, und sie hat dabei keinen Schritt nach vorn getan. Weil das von diesem Standpunkt aus auch gar nicht möglich ist.

Über fünf Jahre habe auch ich versucht, etwas Brauchbares zur politischen Theorie der Rechten zu Papier zu bringen. Trotz Philosophiestudium, trotz Lektüre von Nietzsche, Heidegger, Jünger und Carl Schmitt – es kam einfach nichts dabei heraus. Bei anderen kam auch nichts heraus, aber sie haben das dann trotzdem veröffentlicht, ich erinnere mich nur an die unsäglichen "89er". Manchmal muß man eben umkehren, um weiterzukommen – nämlich dann, wenn man auf einem Holzweg ist.

Wenn sie das gemerkt haben, wenden sich die meisten vom Glauben ihrer Jugend ab. Das nennt man Erwachsenwerden. – Wer die fürs Leben notwendige Anpassung verweigert und statt dessen vom stillen Kämmerlein aus Geschichte machen will wie der bekannte "ewige deutsche Jüngling", darf sich nicht wundern, wenn die Stellenangebote ausbleiben.

Was ist denn nun so furchtbar an einer Zeit, die sich nach ökonomischen Gesichtspunkten entscheidet? Diese Welt ist "entzaubert", heißt es zum hundertsten Male mit Max Weber – das ist allerdings wahr. Aber ob der Zauber, von dem unsere Vorfahren gefangen waren, nicht eher ein böser war, ist damit längst nicht gesagt.

Im Grunde ist es doch so: In der Hoffnung auf das Himmelreich (und der Furcht vor der Hölle) verzichtete ein überwiegender Teil der Bevölkerung auf ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben. Und damit meine ich nicht nur die Armen. Auch die höheren Schichten, und vielleicht gerade die, waren in ein Korsett von Vorurteilen und Regeln gepreßt, das den Einzelnen kaum aufatmen ließ – man denke an Effi Briest, an Madame Bovary, an Anna Karenina. Nicht zufällig alles Frauen, und nicht zufällig wollen Frauen von den Ultra-Konservativen nichts wissen. So gut war die gute alte Zeit nicht. Man kann zwar sagen, anders ging es nicht, und das ist wahrscheinlich richtig.

Die Starrheit vergangener Gesellschaftsformen gründet letztlich in den fehlenden technischen Möglichkeiten. Um bei den Frauen zu bleiben: Ohne zuverlässiges Verhütungsmittel ist eine freie weibliche Sexualität nun mal nicht möglich. Entsprechend lautet der Moralkodex: der Mann darf, die Frau nicht. Aber heute gibt es eben diese Möglichkeiten, und es wird künftig immer mehr geben, schwule Paare werden Kinder nicht nur adoptieren, sondern per Reagenzglas auch welche zeugen können, und statt unter der Linde oder wenigstens im Wirtshaus werden die Menschen abends vor ihren Bildschirmen sitzen und mit aller Welt "chatten" – natürlich auf Englisch.

Auf ein "Höheres", heiße es Gott, Vaterland oder zukünftige Gesellschaft, wofür der Einzelne immer schlecht leben und schnell sterben soll, lassen sich die Leute nicht mehr ein. Sie wollen Befriedigung hier und jetzt. Und das kostet Geld. So ist der vielgescholtene Ökonomismus nur Ausdruck einer Aufklärung, die nun alle Schichten durchdrungen hat. Das Individuum befreit sich von allen metaphysischen und ideologischen Vereinnahmungen und kommt endlich in der Wirklichkeit an. Es ist erwachsen geworden.

Erwachsen ist bekanntlich der, der Geld verdient und ausgibt (soweit die Steuern es zulassen). Kindlich ist, wer darauf wartet, daß die freundliche Hand von oben mal etwas herunterreicht und sich inzwischen die Zeit mit Spielen vertreibt. So war es beim König, der durch die Menge kutschierte und links und rechts die Goldstücke herauswerfen ließ, und so ähnlich stellte sich auch Hitler die Volksgemeinschaft vor, daß er, was nach der Rüstung, den Prunkbauten und nicht zu vergessen der Versorgung der Bonzen noch übrig war, großzügig unter das Volk verteilte. Vor ihm waren sie alle gleich. Aber da braucht man wieder den Zauber, und davon hat Hitler wohl den letzten Rest herausgekratzt.

Alle Magie hat in unseren Tagen das Geld auf sich gezogen. Es regiert die Welt und macht daraus die von Humanisten gepriesene "one world". Dagegen kann man protestieren, man kann auch die atheistische, die materialistische, kapitalistische oder semitische Verschwörung dahinter suchen, aber ändern kann man daran nichts. Dann ist es vielleicht fruchtbarer, sich einmal zu überlegen, worin denn der unwiderstehliche Reiz des Geldes besteht. Sind die Menschen alle zu Alberichen geworden, die Tag und Nacht nur über den Goldklumpen wachen? Sieht sich jeder als Banker oder Börsianer mit Köfferchen und Financial Times unterm Arm? Gibt es nichts Spannenderes als Zinsen und Rendite?

Für eine dünne Schicht von Yuppies mag das zutreffen. Aber die Mehrheit ist am Geld als Selbstzweck nicht interessiert. Sie will essen, möglichst gut, wohnen, möglichst bequem, Auto fahren, Reisen machen, Schuhe kaufen, möglichst schick, Spitzensport sehen, überall hin telefonieren, und und und. Jeder noch mehr und jeder etwas anderes. Und jeder kann und darf auch alles. Im Prinzip. Es gibt keine Privilegien und keine Ausgrenzungen. Alle Menschen sind gleich. In der Praxis ist es aber nicht möglich, daß alle alles haben und tun. Die Ressourcen an Platz, an Zeit, an Kraft, an Energie, an Rohstoffen sind begrenzt. Und hier erhält das Geld seine Aufgabe. Das Geld ist die häßliche, aber unvermeidliche Kehrseite der Freiheit. Es ist die bestimmte Wirklichkeit zu den unbegrenzten Möglichkeiten, die jedes Individuum in einer modernen egalitären Gesellschaft hat. Darum wird das Geld eine desto größere Rolle spielen, je demokratischer das Gemeinwesen ist. Das ist kein Widerspruch, sondern eine gegenseitige Bedingung. Wer verspricht, daß das Geld abgeschafft wird, hat eine Privilegierung im Sinne. Die Aristokraten vor 1789 brauchten nicht viel Geld, sie verfügten von vornherein über alles. Und dem Volk hätte auch Geld nichts genützt, da die Aristokraten es im allgemeinen nicht nötig hatten, etwas zu verkaufen.

Ich will nicht abstreiten, daß von einer souveränen Standeselite ein Glanz ausgeht, eine Noblesse und Grandezza, die in der Leistungsgesellschaft fehlt. Hier wird gerannt, gerafft und geboxt ohne Rücksicht auf Vornehmheit. Aber es steht ja jedem frei, sich diesem Gedränge zu entziehen. Es ist ja möglich, sein Streben auf Werte zu richten, die die Masse nicht zu würdigen weiß und die daher "billiger" kommen. Du kannst dir ein Buch aus der Bibliothek holen, statt für hundert Mark zum Spektakel in die Waldbühne zu gehen. Du kannst mit deinen Freunden grüne Heringe braten, anstatt beim Bistro für einen Vorspeisenteller achtzehn Mark fünfzig zu bezahlen. Nur der persönliche Verzicht kann die Macht des Geld-Teufels unterlaufen.

Was aber nicht geht: die ganze Nation zum Verzicht verdonnern wollen. Dann bedeutet dieser Verzicht nämlich keine Freiheit mehr, da die Möglichkeit des Konsumierens ja entfällt. Und was als Freiheit (von der Geldherrschaft) verkauft wird, ist in Wahrheit eine viel schlimmere Unfreiheit als die immerhin freiwillige Jagd nach dem Mammon. Entsprechend nutzt dann früher oder später eine Herrscher-Clique die Gelegenheit, daß die anderen geschlossen Verzicht üben, um sich selber ungestört zu bereichern. So ist es den Linken gegangen, und so geht es jetzt auch auf der Rechten.

Es ist schon bezeichnend, daß in der DVU, die am schärfsten gegen hohe Diäten hetzt, ein nicht unerheblicher Teil der Mitglieder vorbestraft ist. Sicher, die "Junge Rechte" ist nicht die DVU, aber macht euch keine Illusionen, euch würde es genauso gehen in einer nationalen Regierung, denn durch Beschluß bessert man nicht den Menschen – auch den Deutschen nicht, obwohl man ihn durch Befehle zu allerhand bringen kann. Bessern muß jeder sich selber, und wenn der Mensch sich überhaupt veredeln läßt, dann nur gleichberechtigt und in Freiheit.

Dieter Stein bin ich dankbar, wenn er diesen Beitrag druckt. Es zeugt von einer Neugier und Offenheit, die ich immer wieder an ihm kennengelernt habe. Überhaupt habe ich persönlich nur gute Erfahrungen mit der JF-Redaktion und auch anderen Mitgliedern der rechten Szene gemacht. Um so mehr setze ich darauf, daß mein Beitrag bei dem einen oder anderen ankommt. Vielleicht auch auf ein vorhandenes Unbehagen trifft.


 
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