© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
SPD: Wie Parteichef Oskar Lafontaine seine Genossen mit eiserner Hand regiert
Antreten lassen – Befehle erteilen
Hans-Georg Münster

Macht ausüben und herrschen, die Genossen antreten lassen und Befehle erteilen – das ist die Welt des Oskar Lafontaine. Daß der Ministerpräsident des kleinsten Flächenlandes und Vorsitzende der mitgliederstärksten Partei SPD den Spitznamen "Saar-Napoleon" trägt, ist kein Zufall. Widersacher duldet Lafontaine nicht, selbst Widerspruch nimmt der sozialdemokratische Feldherr nicht hin.

Als der Bonner Fraktionschef sich gegen die angeordnete Wegbeförderung ins Verteidigungsministerium zur Wehr setzte, biß Lafontaine gnadenlos zu. Der bereits vor drei Jahren auf dem Mannheimer Parteitag per Handstreich aus dem Amt des Vorsitzenden gejagte Scharping erlebte sein zweites Mannheim – diesmal in Bonn.

Lafontaine pflegt seine Aktionen vorzubereiten. Und so notierten Bonner Journalisten eine mit den ersten Kabinettsspekulationen beginnende und sich von Tag zu Tag steigernde Kampagne unter dem Arbeitstitel "Scharping ins Kabinett". Doch der Rheinländer-Pfälzer mochte nicht glauben, was er jeden Morgen in den Zeitungen über sich lesen konnte. Lafontaine werde ihm, so der feste Glaube des treuen Parteisoldaten, nicht noch einmal eine Schmach wie in Mannheim antun.

Seinen Irrtum erkannte Rudolf Scharping, den Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis einst als "Autisten" verspottete, zu spät. Er versuchte noch, sowohl den SPD-rechten "Seeheimer Kreis" als auch den linken "Frankfurter Kreis" auf seine Seite zu ziehen. Doch längst fielen Entscheidungen über seinen Kopf hinweg, die Informationsfäden liefen bereits am Büro des Fraktionsvorsitzenden vorbei. Wie eine Spinne knüpfte Lafontaine das Netz.

Scharping konnte dann in der Zeitung lesen, daß ihm mit dem mächtigen nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden und Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering ein Gegenkandidat ins Haus stehe. Gleichzeitig begann die von Lafontaines Umgebung gesteuerte Kampagne häßlicher zu werden. Es wurde mit besorgtem Unterton auf Kälte, Kommunikationsunfreundlichkeit und Realitätsverlust des Mannes an der Fraktionsspitze hingewiesen. "Hoffentlich wird der in der Fraktion nichts mehr", warnte im Bonner General-Anzeiger eine SPD-Stimme natürlich ohne Namensangabe.

Doch Scharping wollte immer noch nicht aufgeben. Der von Lafontaine als neuer Fraktionschef auserkorene Müntefering bekam kalte Füße und meldete sich als Gegenkandidat ab. Dem SPD-Chef war allerdings im Umgang mit Müntefering ein kleiner Fehler unterlaufen. Der Name des Westfalen wurde bereits in der Öffentlichkeit genannt, als dieser noch nichts von den Plänen des Parteivorsitzenden wußte. Beleidigt verschanzte sich die Primadonna der Ruhrkumpel-Sozialdemokratie hinter dem Argument, nicht direkt gegen Scharping antreten zu wollen, sondern nur zu kandidieren, wenn der Fraktionschef ins Kabinett gehe.

Scharping lehnte schon wieder ab. Lafontaine setzte darauf alles auf eine Karte. In Bonn schwirrten Gerüchte über eine von ihm geplante Vertrauensfrage im Parteivorstand. Andere verbreiteten, der Saar-Napoleon wolle direkt gegen Scharping antreten und ihm das zweite Mannheim persönlich bereiten. In der Tat: Den amtierenden Parteichef nach gewonnener Bundestagswahl nicht zu wählen, das hätte sich die Fraktion kaum erlauben können. Sonderwege widersprechen auch dem sozialdemokratischen Corpsgeist. Ältere Genossen lernten schon in ihren Jugendtagen, daß es drei respektable Großmächte auf diesem Planeten gibt: die USA, die Sowjetunion und den SPD-Parteivorstand.

Im Vorstand kochte Lafontaine den Fraktionsvorsitzenden schließlich weich. So weich, daß Kanzler in spe Gerhard Schröder mit zusammengebissenen Zähne die Lösung verkünden durfte: "Ich habe sowohl Oskar Lafontaine als auch Rudolf Scharping und auch Franz Müntefering gebeten, in das neue Kabinett einzutreten. Alle drei sind meiner nachdrücklich, aber auch freundschaftlich vorgetragenen Bitte gefolgt."

Das klang nach Autorität, war aber keine. Schröder war zu keinem Zeitpunkt Herr dieses Verfahrens. Das war immer Lafontaine. Allerdings kann sich Schröder teilweise mit der Lösung anfreuden, da ihm Müntefering an der engen Kabinettsleine besser gefallen dürfte als wenn ihm der mächtige Westfale als Fraktionschef im Nacken gesessen hätte. Und ob Lafontaine Minister oder sonstwas wird, entscheidet Lafontaine, aber zum jetzigen Zeitpunkt und unter den heutigen SPD-Machtverhältnissen keinesfalls der Bundeskanzler.

Der erneut gedemütigte Scharping wurde sofort mit Ehrenerklärungen gesalbt und wieder aufgewertet. So sind die Genossen: Keiner fällt ins Bodenlose. Wo sich Menschen mit nicht-degenerierten Charakter voller Abscheu entfernt hätten und nie wiedergekommen wären, durfte sich Scharping noch Garantien für sein neues Amt ausbedingen. So sicherten Lafontaine und Schröder großzügig zu, es werde keinen Truppenabbau ohne vorherige Strukturreform geben. Außerdem solle der Bundeswehr-Etat "nicht als Steinbruch" für andere Ausgabenbereiche genutzt werden, versprach Schröder.

Dieses Versprechen kommt zu spät, Theo Waigel hat bereits jede freie Mark abgeräumt. Die Bundeswehr sei hoffnungslos unterfinanziert, erkannte bereits der Grünen-Haushaltspolitiker Oswald Metzger. Scharping kommt als Kapitulateur zu den Offizieren und Generälen. Wenn in den Akademien für innere Führung Mitleid Unterrichtsfach sein sollte, könnte Dauerverlierer Scharping mit den Uniformierten klarkommen – sonst nicht.

Als Fraktionschef rückt jetzt der niedersächsische Pfeifenraucher Peter Struck nach, ein Herbert-Wehner-Verschnitt. Struck galt lange als Intimfeind des niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder. Solche Kandidaten sind ganz nach dem Geschmack eines Oskar Lafontaine.


 
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