© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Psychologische Wirkungen
von Michael Oelmann

Was hat man sich nicht alles erhofft beim Thema Steuerreform. Es gehörte zu den Wahlkampfthemen schlechthin, und Schröder dürfte sich nicht wenig darauf zugutehalten, in der Hoffnung auf den endlich großen Wurf bei den Steuern gewählt worden zu sein. Jetzt ist also raus, was die neue Regierung im Gegensatz zur alten anzubieten gedenkt: Etwa tausend Mark mehr pro Jahr für Arbeiterfamilien, dafür weniger für Unternehmen und Freiberufler. Nettoentlastung: nahezu Fehlanzeige. "Ist das der große Wurf, Herr Schröder?", geift das Fachblatt Bild treffend die allgemeine Frustration auf. Und der Bund der Steuerzahler spricht von einer "Steueränderungsorgie".

Obwohl die Steuerreform damit de facto eine reine Umschichtung darstellt, spricht die SPD dreist weiter von "Steuerentlastung". Dabei mag man durchaus nicht bemängeln, wenn die Geringverdiener und Familien etwas mehr in der Tasche behalten. Hier darf auch Lafontaine mit seiner Lieblingstheorie der Binnennachfrage partiell Recht behalten. Das Problem aber liegt darin, dies auf Kosten der Leistungsträger, der Freiberufler und der Unternehmen zu tun: bei Sparerfreibeträgen, bei Abfindungen, bei Immobilien- und Aktiengeschäften, bei Abschreibungen und betrieblichen Rückstellungen. Und die Energiesteuer wird noch dazukommen. – Kein Problem, auch diese Steuersparmöglichkeiten zu streichen, wenn im Gegenzug die Spitzensteuersätze nettowirksam gesenkt würden. Völlig zu Recht laufen jetzt Unternehmer- und Wirtschaftsverbände Sturm, sehen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen weiter gefährdet.

Der große Skandal aber (freilich für jene, die sich vor der Wahl haben täuschen lassen) ist die Unfähigkeit der etablierten Parteien zu einer rigorosen Reform eines Staates, der – auch unter 16 Jahren CDU-Regierung – zu einem gigantischen Umverteilungsleviathan mutiert ist. Diese strukturelle Verkrustung aufzubrechen, hat die SPD zwar versprochen, aber angesichts ihrer jetzigen Steuerpläne nicht eingelöst. Die psychologische Wirkung könnte verheerend sein. Schlimmstenfalls werden sich die "Empfängertypen" weiter auf die faule Haut, die "Gebertypen" weiter auf die Flucht ins Ausland oder in die Schwarzarbeit begeben.

Nie war deutlicher als jetzt, nach dem Regierungswechsel, wie gering der tatsächliche Unterschied zwischen den politischen Pseudo-Alternativen einer bürgerlichen SPD und einer sozialdemokratisierten CDU ist. Nur, daß es bei ersteren alles noch ein wenig schlechter ist.


 
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